Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
einen Beidhänder, ein Schwert, so groß, dass er im Sattel stehen musste, um es schwingen zu können, was er mit beängstigender Geschicklichkeit tat.
Das Pferd des Mannes galoppierte dabei ungebremst weiter, sein Blick starr auf Kazuteru gerichtet, und das Einzige, was der junge Samurai noch sah, das Einzige, was seine Gedanken erfüllte, war die elegant geschwungene Klinge des großen, schimmernden Schwerts, die ihm näher und näher kam …
* * *
Bennosuke wusste nicht, dass auch andere flohen, bis Männer ihn schließlich auf dem Hang hinauf in den Wald überholten. Sie rannten panisch, mit aufgerissenen Augen dahin, einige wimmerten gar vor Angst, als sie den Jungen passierten, der schweigend und steten Schritts lief. Sie trieb der Überlebensinstinkt, er aber floh nicht aus Angst.
Er hatte das Gefühl, dass er klarer dachte als seit Jahren und die Luft in seiner Lunge reiner war. Es war eine feste, rationale Entscheidung, nicht mehr länger hierzubleiben, und wenn er gekonnt hätte, hätte er sich am liebsten in Luft aufgelöst. Doch er war ein Sterblicher – oh, wie er das jetzt wusste, er hätte laut loslachen können! –, und so nahm er die Mühe auf sich, den Hang hinaufzukraxeln, um das Tal zu verlassen.
Während er lief, blickte er sich immer wieder kurz um. Die Dinge waren in Auflösung begriffen, das Heer lief mit jeder Sekunde mehr auseinander. Hörner wurden geblasen und Männern Befehle zugebrüllt, die keine Befehle mehr befolgten. Ein Hauptmann spie Bennosuke an, als er an ihm vorbeilief, und schimpfte ihn im gleichen Ton wie Kumagai einen Feigling. Dabei entging dem Mann, dass hinter ihm sein Standartenträger in diesem Moment das Banner hinwarf und Reißaus nahm.
Zurück also in den Wald, in den Schutz der Bäume, zwischen denen das Getöse von unten heraufdrang. Der Boden war völlig aufgewühlt. Bennosuke kämpfte sich voran und kam an Männern vorbei, die gestürzt waren und sich die Beine verletzt hatten und flehten, jemand möge sie tragen.
Bennosuke beachtete diese Männer nicht, doch dann ließen ihn mehrere aufleuchtende Augenpaare zwischen den Bäumen innehalten. Es war eine Schar von Jungen, vielleicht zwei Dutzend, die verstohlen hinter den Baumstämmen hervorlugten. Der Älteste war höchstens zehn, der Jüngste halb so alt, und sie mussten von stolzen Vätern hier heraufgebracht worden sein, um sich aus sicherer Entfernung, wie man geglaubt hatte, die Schlacht anzusehen. Jetzt aber standen sie in ihren feinen kleinen Kimonos hier, mit ihren kleinen Schwertern, das Haar zu einer Büschelfrisur hochgebunden, die ihre Mütter vermutlich hinreißend süß fanden, und aus ihren Augen sprach nur Angst und Ungewissheit.
Herbeigebracht, um Zeuge eines Spektakels zu werden, hatten sie stattdessen diese Feuertaufe erhalten, ehe sie wussten, wie ihnen geschah – Bennosuke spürte, wie sich Mitleid in ihm regte. Er sah dem Ältesten in die Augen und sagte: «Lauft weg!»
Es hatte freundlich klingen sollen, drang aber als keuchendes Knurren aus ihm hervor. Was die Jungen da vor sich sahen, war ein schnaufender Hüne, dessen halbes Gesicht mit Blut verklebt war, und erschrocken wichen sie weiter ins Unterholz zurück.
Er konnte nichts für sie tun und lief weiter. Bergauf kam ihm die Entfernung viel größer vor als am Morgen, doch schließlich flachte die Steigung ab. Er musste jetzt ganz in der Nähe der Stelle sein, von der aus er den Falken beobachtet hatte. Er blieb kurz stehen, um Luft zu schnappen, und sah ins Tal hinab, das ausgebreitet vor ihm lag.
Es war nun offensichtlich, dass das Heer aus dem Westen dem Untergang geweiht war. Der Geduldige Tiger schloss gerade seine Fänge um die Halsschlagader Japans. Kobayakawas Heer strömte von rechts herbei, und einige andere Fürsten hatten sich offenbar von seinem Verrat inspirieren lassen, sodass sich die gesamte Koalition jetzt in kleinere Schlachten auflöste, in denen manche Fürsten Tokugawa gegenüber ihren Wert unter Beweis stellen wollten, indem sie für ihn ihre ehemaligen Verbündeten massakrierten.
Die Ehre der Samurai. Fast hätte Bennosuke gelacht. Sollten sie doch alle bekommen, was sie wollten: Tokugawa seinen Thron und die Krähen und Flammen diejenigen, die er zermalmt hatte, um seinen schrecklichen Ehrgeiz zu befriedigen. Bennosuke kümmerte das nicht mehr. Er ließ das alles hinter sich, die Befehle, die Scham, die starren Dogmen, Ukita, Kumagai, die Nakata …
Und doch, da er nun daran dachte, merkte
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