Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
verwandelt, die im orangefarbenen Licht der untergehenden Sonne noch leuchteten, während der Rest des Tals schon im Schatten lag.
Als sie ins Dorf hinabgingen, sahen sie, dass dort etliche Bauern zusammengelaufen waren. Noch schlammbeschmiert von der Feldarbeit standen sie grüppchenweise beisammen und sahen aus einigem Abstand ängstlich zum Dojo hinüber. Aufgeregt tuschelten sie, verstummten aber, als sie Tasumi und Bennosuke kommen sahen.
Ein Falbe war vor dem Gebäude angebunden. Es war das Schlachtross eines Samurai, ein großes, starkes Tier, dazu gezüchtet, Rüstung zu tragen und todbringend auszutreten. Der Sattel war in den hellblauen Tönen Fürst Shinmens geschmückt. Tasumis Blick wurde streng und neugierig, doch als er sich antwortheischend an die Bauern wandte, wichen sie mit unterwürfigen Verneigungen vor ihm zurück – in solche Angelegenheiten mischten sie sich nicht ein.
Gefolgt von Bennosuke, ging Tasumi zur Eingangstreppe des Dojo und verharrte dort. Er erwartete niemanden, und es missfiel ihm, einen Besucher in Unterwäsche zu empfangen, aber sein Kimono war durchnässt und stank nach Fisch. Andererseits hätte ein Besucher, der auf Gastfreundschaft hoffte, sein Kommen angekündigt. Achselzuckend ging Tasumi hinauf und öffnete die schwere Tür, als wenn nichts wäre.
Ein Mann saß im Schneidersitz vor dem Ahnenschrein. Er drehte sich um. Einen Arm hatte er vor die Brust gebunden.
«Oh», entfuhr es Tasumi. «Wir haben uns lange nicht gesehen.»
Bennosuke spähte an der kräftigen Gestalt seines Onkels vorbei in die Halle. Dort erblickte er das Gesicht, das unter den Helm gehörte, den er seit früher Kindheit so peinlich sauber hielt, das Gesicht, das er so sehr gefürchtet und herbeigesehnt hatte. Er war es, wer denn auch sonst – der Geist war endlich herbeibeschworen. Zum ersten Mal seit acht Jahren sah Bennosuke das Gesicht seines Vaters.
Kapitel 3
D ie Nacht war herabgesunken. Munisai stand in seinem dunklen Haus vor seiner Rüstung und betrachtete sie schweigend. Sie war tadellos erhalten, wie auch die anderen Schätze seiner Jugend, und doch hätte er am liebsten nur angewidert gelacht.
Das leuchtende Hellblau wirkte geckenhaft, der makellose Lack des Brustpanzers kündete von Stunden, die er mit Polieren verschwendet hatte, statt sich im Kampf zu üben, und der Helm … Wo sollte man da anfangen? Die eitlen Ziselierungen schwächten die Struktur, das Gesicht war gänzlich ungeschützt, und die große Helmzierde forderte Gegner geradezu heraus, sie zu ergreifen und dem Träger den Helm vom Kopf zu reißen.
Vor allem aber war da sein Name, der auf so ärgerlich arrogante Weise leuchtend weiß auf die vordere Panzerschürze gestickt war.
Munisai Hirata.
Wie hatte er sich bemüht, diesen Namen zu vergessen. Doch immer noch weckte er alten Kummer in seinem Herzen.
Hirata.
Der Name, mit dem er geboren worden war und den er in Verruf gebracht hatte. Der Name, den er abgelegt hatte, um den Namen seines Herrn anzunehmen.
«Hallo, Munisai», sagte Dorinbo.
Verdutzt wandte Munisai sich um und sah seinen Bruder im Licht einer Papierlaterne am Eingang stehen. Wie aus dem Nichts war er dort aufgetaucht.
«Dorinbo.» Munisai verneigte sich entschuldigend. «Verzeih, ich hatte nicht erwartet, dich heute Abend zu sehen.»
Der Mönch erwiderte die Verneigung. «Ich dachte, du wärst so höflich, mir wenigstens einen kurzen Besuch abzustatten – nach so langer Zeit.»
«Das hätte ich schon noch getan …», begann Munisai, verstummte aber unter Dorinbos Blick. Seinem Bruder ging es nicht nur um mangelnde Höflichkeit, das wusste er. Es gab sehr viel zu erklären, das meiste davon schmachvoll und nicht in Worte zu fassen.
Der Mönch sah noch genauso aus, wie Munisai ihn in Erinnerung hatte: von schlanker Gestalt und mit kahlrasiertem Kopf. Vor allem aber erinnerte er sich an den missbilligenden Blick. Das Schweigen zog sich hin, und der Samurai spürte, wie er langsam errötete. Alte Schuldgefühle überkamen ihn, denen er sich sehr lange nicht mehr gestellt hatte. Nur sein Bruder vermochte es, ihn so zu verunsichern.
Schließlich erbarmte sich dieser, Munisai von seiner Verlegenheit zu erlösen, und fuhr in herzlicherem Ton fort: «Ich bin gekommen, weil mir Tasumi von deinem Arm berichtet hat. Wie fühlt er sich an?»
«Er schmerzt», erwiderte Munisai, dankbar für die Nachsicht. «Manchmal habe ich kein Gefühl mehr in der Hand. Und manchmal juckt und kribbelt
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