Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Augen die Bestätigung.
«Er ist jetzt fünf, also würde ich sagen, dass es seit ungefähr sechs Jah…», begann sie – sprach aber nie zu Ende. Munisais Schwert fuhr herab und schlug ihr den Kopf ab.
«Lügnerin!», schrie er den Leichnam an und sah zu, wie ihr Lebensblut pulsierend aus dem Hals rann.
Als es versiegte, bemerkte er, wie still es war; die Leute waren verschwunden, als er Yoshiko getötet hatte. Sie waren fort, aber sie hatten es gesehen. Die Bauern hatten gesehen, wie Yoshiko ihn gedemütigt hatte. Das durfte nicht sein. Allein die Vorstellung, dass jemand wusste, dass ihm so etwas widerfahren war …
Sechs Jahre? Wussten sie etwa schon seit sechs Jahren davon? So musste es sein. Hatten sie die ganze Zeit hinter seinem Rücken über ihn gelacht? Der Gedanke trieb ihn fast zum Wahnsinn. Erst jetzt geriet er vollends außer sich und machte sich auf ans andere Ende des Dorfs, wo die Bauern wohnten.
Es folgten Feuer und Mord …
Munisai saß mit trotziger Miene vor Dorinbo. Er hatte seinem Bruder die Erinnerungen förmlich entgegengespien, mit brechender Stimme. Jahrelang hatte er darauf gewartet, davon zu sprechen, und jetzt war alles heraus. Kurz packte ihn unbändige Freude, dass er sich endlich jemandem offenbart hatte.
Dorinbo sah seinen Bruder entsetzt an und überlegte krampfhaft, was er sagen sollte. «Du sprichst sehr offen», sagte er, mehr fiel ihm nicht ein.
«Ich habe nichts zu verbergen. Nicht vor dir», sagte Munisai und wandte sich langsam zur Wand. Durch eine Ritze starrte er in das Auge, das er nicht sehen konnte, von dem er aber wusste, dass es seinen Blick erwiderte. «Und auch nicht vor unserem Zuhörer. Komm bitte zu uns, Bennosuke.»
Der Junge im dunklen Nebenzimmer erschrak nicht. Langsam nahm er die Hand vom Mund, und seine Zähne hinterließen Kerben in der Haut. Um still zu bleiben, hatte er sich ins Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger gebissen, während die Männer sprachen.
Die aufrichtige Verwirrung auf Munisais Gesicht, als er im Dojo von seiner Mutter gesprochen hatte, war dem Jungen nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Irgendetwas stimmte da nicht, etwas, das selbst ein Mann, der es gewohnt war, seine Gefühle zu unterdrücken, nicht verbergen konnte. Die leichte Drehung des Kopfs, das Stirnrunzeln … Es hatte Bennosuke keine Ruhe gelassen; er musste mehr darüber erfahren.
Am Abend schlich er sich zum Haus seines Vaters und wartete. Die Nacht brach an, und dann bestätigte sich seine Ahnung: Worum auch immer es ging, es ließ auch Munisai keine Ruhe, und er trat mit entschlossener Miene vors Haus. Ihm zu folgen war kinderleicht gewesen, ebenso wie sich durch die Hintertür in Dorinbos Hütte zu schleichen und durch die Ritzen in der Wand das Gespräch zu belauschen.
Bennosuke war zunächst noch begeistert gewesen, als er Munisai, der von seiner Gegenwart nichts zu ahnen schien, sprechen hörte, doch je länger er lauschte, desto kälter wurde ihm. Jetzt war er ertappt. Es kam ihm aber überhaupt nicht in den Sinn, zu fliehen, kein Gedanke daran, sich mit einem Aufschrei aus dem Staub zu machen. Vielmehr haftete dem Ganzen eine fürchterliche Unabwendbarkeit an. Natürlich hatte Munisai von seiner Gegenwart gewusst – er war ein erbarmungsloser Geist, der seit Jahren aus der Ferne in das Leben des Jungen hineinspukte und nun leibhaftig hier erschienen war, um ihn endgültig zu zermalmen.
Wortlos schob Bennosuke die Tür auf und betrat den Raum.
Munisai saß mit grimmiger Triumphmiene da, den Arm in der Schlinge. Dorinbo starrte den Jungen an, bestürzt über sein plötzliches Auftauchen. Eine ganze Weile sagte niemand etwas.
«Ist es wahr, was du da erzählt hast?», fragte der Junge schließlich.
«Ja», antwortete Munisai.
«Du hast meine Mutter getötet?»
«Ja.»
«Und du bist nicht mein Vater?»
«Ich bezweifle es sehr», erwiderte Munisai. «Schau dich doch an.»
Bennosuke sah zu Dorinbo hinüber, in der Hoffnung, der Mönch würde ihm jetzt vielleicht versichern, dass Munisai nicht mehr ganz bei Trost sei und Unfug rede. Doch sein Onkel bot ihm nichts dergleichen. Von Scham und Wut überwältigt, saß er wie vom Donner gerührt da.
«Was jetzt?», fragte Munisai. Seine zusammengekniffenen Augen funkelten im Kerzenlicht. «Wir wissen doch alle, wie das hier enden sollte. Bist du ein Samurai, Junge? Wie deine Mutter? Denn ihr Mörder sitzt hier vor dir, und du hast deinen kleinen Dolch dabei. Hast du den Mut zu tun, was recht und billig
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