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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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und er hat es nicht geschafft, meinen Willen zu brechen. Stattdessen hat er mir mit jedem Schlag und jedem Tropfen Blut, den er aus mir herausdrosch, einen unbändigen Hass eingepflanzt. Ich hasste ihn für das, was er mir antat, und ich hasste ihn dafür, wie er mich hasste. Und dieser Hass währt bis zum heutigen Tag. Er ist ja nun schon lange tot, aber wenn ich sein Gesicht vor meinem geistigen Auge sehe, zieht sich vor Wut alles in mir zusammen.
    Das ist meine Schande. Amaterasu lehrt uns, dass die Welt nicht vollkommen ist – vollkommen ist nur sie allein –, dass aber jeder rechtschaffene Mensch die Pflicht hat, sie nicht mit seinem kleinlichen Groll noch weiter zu besudeln. Das ist der Weg zu heiterer Gelassenheit. Ich will unserem Vater vergeben, ich weiß, ich sollte es tun. Aber ich kann nicht. Wenn ich sein Gesicht vor mir sehe, wenn ich mir vorstelle, wie er als Geist am anderen Ufer des Totenflusses steht, will ich weiter nichts als ausspucken. Das ist eine schreckliche Last. Eine niederdrückende Last.»
    «Warum erzählst du mir das?», fragte Munisai. «Es ist ja nicht so, dass ich dich davon lossprechen könnte.»
    «Ich erzähle es dir, Bruder, weil ich nicht derjenige sein werde, der so eine Last auch Bennosuke auflädt. Wenn er sich dem eines Tages aussetzen muss, dann nicht meinetwegen. Und was du getan hast, Munisai, ist weit schlimmer als alles, was man mit einer Peitsche anrichten könnte.»
    Dem folgte ein Schweigen, in dem Dorinbo seinen Bruder eindringlich ansah. Munisai wandte das Gesicht ab, ehe er erröten konnte. Durch die Ritzen in der Wand bemerkte er Bewegungen im Nebenzimmer. Er schaute genauer hin und sah, wie sich etwas Schwarzes vor schwarzem Hintergrund bewegte. Jemand wollte nicht bemerkt werden. Seine Miene verhärtete sich, als er sich wieder Dorinbo zuwandte.
    «Du lehnst den Hass ab, machst dir aber gar nicht klar, wie nützlich er ist», widersprach der Samurai. «In einer Welt, die auf Hass aufgebaut wäre, könnte viel mehr vollbracht werden als in einer, die auf Liebe beruht. Hass verleiht den Menschen die Willenskraft, mehr zu leisten und zu ertragen, als sie je für möglich gehalten hätten.»
    «Hass bringt sie um den Verstand, willst du wohl sagen», entgegnete Dorinbo. «Ein Hund, der mit der Pfote in einer Falle festhängt, bringt es irgendwann fertig, wenn der Schmerz zu groß wird, sie sich abzubeißen. Wo ist da der Unterschied?»
    «Der Hund überlebt. Also ist der Schmerz nützlich.»
    «Ja, als Samurai befürwortest du natürlich die Selbstverstümmelung», erwiderte Dorinbo. «Das war ein schlechtes Beispiel, aber du kannst doch nicht behaupten, dass …»
    «Du hast es dem Jungen also nicht gesagt?», unterbrach ihn Munisai.
    «Nein.»
    «Und er hat es auch nicht selber rausgefunden? Ist er etwa dumm?»
    «Nein.»
    «Aber irgendjemand muss es ihm doch erzählt haben. Die Bauern, die sich um ihn kümmern …?»
    «Glaubst du wirklich, irgendein Bauer aus diesem Dorf wollte sich da einmischen und deinen Zorn riskieren, nach dem, was du beim letzten Mal getan hast, als einer von ihnen etwas mit deiner Familie zu tun hatte?», fragte Dorinbo. «Ich muss sie doch förmlich anflehen, dass sie sich um deine Gärten kümmern. Sie haben Angst vor ihm – weil sie Angst vor dir haben. Und grausam daran ist, dass der arme Junge glaubt, es läge an dem bisschen Ausschlag in seinem Gesicht.»
    «Du hättest mit ihm darüber sprechen können, dann hättest du ihm das erspart. Du hattest acht Jahre Zeit.»
    «Du auch – und wo bist du gewesen?», entgegnete der Mönch in bitterem Ton. «Auf irgendwelchen Schlachtfeldern. Ich habe versucht, die Lücke zu füllen, die du hinterlassen hast und die einzig und allein deine Schuld war.»
    Munisai neigte wie ein reuiger Sünder den Kopf. Der Mönch hatte recht, das war ihm klar. Er konnte sich nicht ewig hinter seinem Stolz verschanzen. Plötzlich dachte er wieder an die Stille inmitten der Ruinen, an den Wind im Gras.
    «Sprich es schon aus», sagte er leise.
    «Was?»
    «Hör auf, nur darauf anzuspielen. Los, sprich dein Verdammungsurteil über mich.»
    «Kannst du das nicht selbst?», fragte Dorinbo. «Schämst du dich etwa, auch nur einzugestehen, was du getan hast? Schämst du dich, wenn du daran denkst, dass du ein halbes Dorf abgeschlachtet und in Brand gesteckt hast?»
    Munisai hielt den Kopf gesenkt. Sein Herz hämmerte, der Puls pochte in seinen Adern. Endlich hielt ihm ein anderer Mensch vor, was er sich seit

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