Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Munisai, und als er das plötzliche Interesse des Jungen bemerkte, fügte er hinzu: «So geheim, dass ich nicht einmal dir davon erzählen darf.»
«Ich verstehe, Herr.»
«Du reist morgen ab. Mach dich jetzt fertig.»
«Jawohl, Herr», sagte der Junge, verneigte sich noch einmal, stand auf und ging.
* * *
Munisai sah zu, wie Bennosuke mit entschlossener Miene den Raum verließ. Er lächelte vor sich hin. Wie leicht sich doch die Jugend hinters Licht führen ließ – «Geheimbefehl», von wegen … Er hatte von Shinmen nichts gehört, kein Wort. Diesen «Befehl» gab er sich selbst, und er lautete schlicht und einfach nur: werde gesund.
Seine Schwäche hielt schon viel zu lange an; er musste wieder stark werden. Sicher hatten die Übungen, die er täglich mit Bennosuke unternommen hatte, die damit verbundenen Anstrengungen und das beständige Zerren an seiner Wunde den Heilungsfortschritt behindert. Mit ein paar Wochen Ruhe, hoffte er, würde es endlich besser werden.
An die andere Möglichkeit, dass die Verwundung bereits jetzt unheilbar war, dachte er lieber nicht.
Auch für seine andere Sorge, die den Namen Nakata trug, war es förderlich, dass er Bennosuke nach Aramaki sandte. Wenn der Junge erst einmal dem Samurai-Kader von Hauptmann Tomodzuna angehörte, würden seine Kameraden ihn schützen: Ein Angriff auf einen von ihnen würde als Angriff auf sie alle gelten. Doch obwohl Munisai wusste, dass die Männer durch den Hauptmann gut gedrillt wurden und er an ihrer Tapferkeit und Fähigkeit, den Jungen zu beschützen, nicht zweifelte, bestand der eigentliche Schutz in etwas anderem: Sie waren Männer Shinmens in einer Stadt Shinmens.
Hayato würde an Bennosuke nicht herankommen, ohne dass es mit dem Verbündeten seines Vaters zu einem Blutbad käme, und das wäre ein politischer Affront, den der junge Fürst sich nicht leisten konnte. Gegen Munisai selbst vorzugehen, wie er es einige Tage zuvor getan hatte, war etwas ganz anderes, denn bei einem Mann, der den Titel des Landesbesten trug, ging man davon aus, dass er von Zeit zu Zeit herausgefordert wurde – warum also nicht auch von Arima, im Auftrag seines Herrn?
Bei Bennosuke würde Hayato nicht wie bei Munisai vorgehen können, denn die Vorstellung, dass ein Fürst einen Dreizehnjährigen ohne jeden Rang und jedes Prestige zum Zweikampf forderte, war abwegig und lächerlich. Zwar hatte Bennosuke ihm ins Gesicht gespuckt, was eine längere Fehde nach sich ziehen mochte, aber das war eine geringere Sorge, der man sich künftig immer noch widmen konnte. Fürs Erste war der Junge bei Tomodzuna in Sicherheit.
Munisai nahm an, dass der junge Fürst Nakata inzwischen wohlbehalten an den Hof seines Vaters zurückgekehrt war und niemandem dort gestehen würde, was geschehen war und auf welch lächerliche Weise er sein kleines Spielchen verloren hatte. Für einen eitlen Feigling wie Hayato waren sein Ruf und sein Ansehen das Einzige, was zählte – das wusste er nur zu gut.
So ist es bei allen Männern, die Schwerter tragen
, mahnte ihn höhnisch der Schmerz seiner Wunde. Munisai verzog keine Miene und konzentrierte sich darauf, die Faust so fest zu ballen, dass er ein Schwert halten konnte. Wenn er doch nur die Fingerspitzen auf der Handfläche gespürt hätte.
* * *
Der Besitz des Schwerts versetzte Bennosuke in einen Taumel. Er erprobte die Balance der Waffe, erkundete wie besessen jeden Zentimeter davon, tastend wie ein Blinder, der ein Gesicht las. Mehrmals gestattete er sich, eitel mit dem Schwert an seiner Seite quer durchs Dorf zu stolzieren, war aber enttäuscht, als die Bauern auf seinen Anblick nicht wesentlich anders reagierten als zuvor: Für sie war er immer noch jemand, der nach Lust und Laune über ihr Leben und ihren Tod verfügen konnte, nur dass er jetzt über eine etwas größere Reichweite gebot.
Am nächsten Morgen stand er auf der landeinwärts gelegenen Anhöhe über dem Dorf, ein Reisebündel auf dem Rücken, die beiden Schwerter an seiner Seite. Die Sonne ging gerade auf, der Himmel changierte zwischen gelb und pfirsichfarben, und die Wärme fühlte sich auf der frisch rasierten Kopfhaut sonderbar an. Zum ersten Mal trug er das Haar wie ein erwachsener Mann: die Kopfoberseite rasiert, das verbliebene Haar eingeölt, zu einem Pferdeschwanz gebunden und so gefaltet, dass es als dünner schwarzer Balken oben auf dem Kopf zu liegen kam.
Tasumi, Dorinbo und Munisai waren bei ihm. Vorgeblich hatte er angehalten, damit er noch einen
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