Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
letzten Blick auf Miyamoto werfen konnte, doch in Wahrheit ruhte sein Blick auf ihnen.
Hier standen die drei Männer, die sein Leben bisher geprägt hatten: Tasumi, der Samurai, der ihm Muskeln antrainiert und seine Hand mit dem Schwert vertraut gemacht hatte. Dorinbo, der Mönch, der ihm das Gute, Schöne und Wunderbare in der Welt nahegebracht hatte. Und Munisai, sein Vater, der … Sein Vater.
Als Munisai den Blick des Jungen bemerkte, wandte er sich halb ab und sagte in nüchternem Ton: «Wir sollten uns nicht lange aufhalten.»
Keiner von ihnen wusste, wie er beginnen sollte, und so trat Tasumi als Erster vor, verneigte sich vor Bennosuke und wünschte ihm in unbeholfenen Allerweltsworten Gesundheit und Glück. Nachdem Bennosuke diese Wünsche ebenso unbeholfen erwidert hatte, entstand zwischen ihnen ein beklommenes Schweigen, bis der Samurai plötzlich ausrief: «Ach ja, ein Geschenk, das wäre wohl angebracht.»
Nervös tastete er auf der Suche nach etwas Passendem an sich herum und zog schließlich aus einem seiner weiten Ärmel einen kleinen Wurfdolch in einer Scheide hervor, die man sich an den Arm binden konnte.
«Hier, so was kann man immer gebrauchen», verkündete er und gab ihn Bennosuke. «Mach uns stolz, ja?»
«Ich bin doch euer Musashi», erwiderte Bennosuke. Sein Onkel lächelte, klopfte dem Jungen einmal auf die Schulter, verneigte sich und trat zurück.
Als Nächster war Dorinbo an der Reihe. Er blickte streng und feierlich. Sie verneigten sich voreinander, und dann gab Bennosuke dem Mönch ein zusammengefaltetes Blatt Papier.
«Das ist ein Gebet, Onkel. Lies es bitte nicht. Verbrenn es mit den anderen», sagte der Junge. Dorinbo nickte. Er verneigte sich und wollte schon wortlos zurücktreten, hielt dann aber doch noch einmal inne.
«Ein Wort noch dazu, was du werden möchtest … Vielleicht kannst du es. Du solltest es jedenfalls versuchen. Aber denk dran: Folge nicht blindlings irgendeinem Glauben oder irgendwelchen Menschen. Du hast immer eine Wahl.»
«Ich weiß, Onkel. Vielen Dank», beruhigte ihn Bennosuke und lächelte – doch Dorinbo blickte weiter angespannt.
«Die einzige Wahl, die du hast, ist, das zu tun, was Hauptmann Tomodzuna dir befiehlt», sagte Munisai, als Bennosuke sich schließlich ihm zuwandte, und in seinen Augen schien eine seltene Fröhlichkeit zu liegen. Dann huschte sein Blick zu Dorinbo hinüber, aber der Mönch tat, als hätte er nichts gehört. Munisais Fröhlichkeit schwand dahin, und einen Moment lang gewahrte der Junge die Kälte zwischen den beiden Männern, schenkte dem aber keine Beachtung. Er verneigte sich vor Munisai und sagte: «Ich werde ihm treu zu Diensten sein, Herr.»
«Ich habe dir schon alles gegeben, was du brauchst.» Mit einer Kopfbewegung wies er auf das Schwert an der Seite des Jungen. «Halte dich im Dienst bedeckt, erhebe aber dein Haupt, wenn jemand deine Ehre in Zweifel zieht. Sei tapfer, Bennosuke, sei ein Samurai.»
«Das werde ich, Herr», erwiderte der Junge, verneigte sich noch einmal und flüsterte dann verschwörerisch: «Und ich hoffe, deine Mission wird dich nicht allzu lange aufhalten.»
«Ich werde sie erfolgreich abschließen», gab Munisai zurück, ohne eine Miene zu verziehen. «Aber das soll dich jetzt nicht mehr kümmern. Nichts von alledem hier. Konzentrier dich auf das, was vor dir liegt, Junge.»
«Ich verstehe und gehorche, Herr.»
Sie sahen sich noch einmal in die Augen. Zum ersten Mal bemerkte Bennosuke, dass er größer war als Munisai.
Dann wies der Samurai mit einer Kinnbewegung auf den Pfad, der landeinwärts führte. Bennosuke wandte sich ab und ging zögernd ein paar Schritte. Es war nicht das erste Mal, dass er das Dorf verließ, aber das erste Mal, dass er von dort tatsächlich fortging. Er blickte sich noch einmal um.
«Hast du etwa Angst?», fragte Munisai, ehe einer der anderen etwas sagen konnte.
Bennosuke setzte eine entschlossene Miene auf, verneigte sich ein letztes Mal und zwang sich loszugehen.
«Gut», schickte Munisai dem Jungen leise hinterher, bevor er wieder ins Dorf hinabstieg. Tasumi folgte ihm bald.
Ehe Miyamoto gänzlich hinter ihm verschwand, blieb Bennosuke noch einmal stehen und wandte sich um. Er wollte noch einen letzten Blick auf das Dorf werfen, denn er wusste ja nicht, wann er es – wenn überhaupt – wiedersehen würde. Ganz klein in der Ferne erblickte er Dorinbo, der ihm immer noch nachsah. Der Junge winkte dem Mönch zu, der die Hände gefaltet hatte und
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