Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Säugling gewesen war. Es war eine schöne Erinnerung, ein schönes Gefühl. Das noch einmal zu empfinden, während er den Jungen ansah, trotz allem, was er wusste … das hätte er nie erwartet.
«Du hast mich verblüfft», sagte Munisai. «Deine Begabung. Deine Stärke. Wir hatten nur wenige Monate, aber was den Umgang mit Waffen angeht, kann ich dir kaum noch etwas beibringen.»
«Du bist aber immer noch besser als ich.»
«Natürlich. Aber ich habe dir gezeigt, wie du stärker werden kannst, als ich es bin. Es ist nun an dir, diese Lehren anzuwenden, bis du mich übertriffst.»
«Wirst du mich nicht mehr weiter unterrichten?»
«Ich habe dir nur noch eines beizubringen. Etwas sehr Wichtiges.»
«Was?», fragte Bennosuke.
Munisai griff seine Schulter fester. «Wie man den besten aller Tode stirbt», sagte der Samurai.
* * *
Die Worte waren von den blattgoldgeschmückten Wänden in Ukitas Saal widergehallt.
«Der Seppuku des Munisai Shinmen wird hiermit ergebenst angeboten, anstelle des Seppuku des Bennosuke Shinmen.»
Munisai hielt das Kurzschwert ganz ruhig und gerade vor sich. Er verneigte sich tief und bot es sodann den Nakata dar. Vater und Sohn vermochten den Blick nicht von der Klinge abzuwenden. Ukita jedoch wusste, dass die Gefahr nicht von der Waffe, sondern von dem Mann ausging, und richtete seinen Blick über den Stahl hinweg auf Munisai.
«Ist es Euch wirklich ernst mit diesem Vorschlag, Munisai?», fragte er, die höfische Ausdrucksweise beiseitelassend, aber immer noch in kühlem Ton.
«Ganz und gar, Hoheit.»
Der große Fürst nickte langsam.
Shinmen hatte den Blick resigniert niedergeschlagen. Munisai und er hatten dies als letztes Mittel erwogen, der Fürst hatte aber immer noch auf einen besseren Ausgang gehofft. Es widerstrebte ihm sehr, seinen besten Soldaten zu verlieren, er wusste aber auch, dass Munisai in dieser Situation durchaus zum Seppuku berechtigt war – ja, dass dies letztlich eine korrekte und anständige Lösung darstellte.
Ukitas Gemahlin sah schweigend zu. Sie hätte, wozu manche Frauen ja neigten, jetzt aufschreien oder in Tränen ausbrechen können, aber sie verzog keine Miene. Munisai war froh darüber. Ihr Anblick und das, woran ihre Augen ihn erinnerten, hatten ihm Kraft gegeben. Ukita blickte kurz aus dem Augenwinkel zu ihr hinüber und wandte sich dann an die Männer in Burgunderrot.
«Nehmt Ihr dieses tapfere Angebot an, Fürst Nakata?»
«Ich …», stammelte der, löste endlich seinen Blick von dem Schwert und sah Ukita an. «Nein, das akzeptieren wir nicht. Nicht Munisai hat dieses Verbrechen begangen. Wir wollen Bennosuke bestraft sehen. Es spielt keine Rolle, was Munisai ersatzweise anbietet.»
Du willst mich am Leben lassen, damit du weiter bei mir abkassieren kannst, dachte Munisai und gab sich große Mühe, sich seinen Hass nicht anmerken zu lassen.
«Für mich stellt es sich anders dar, Fürst Nakata», sagte Ukita. «Das Leben eines Schwertkämpfers, der den Titel des Landesbesten trägt? Dürfte ich Euch daran erinnern, was dieser Titel impliziert?»
Nun war die Bewunderung in seiner Stimme eindeutig zu hören. Viele Fürsten waren zugegen gewesen, als Munisai das Turnier gewonnen hatte. Ukita musste damals achtzehn oder neunzehn Jahre alt gewesen sein, ein Alter, in dem man noch leicht zu beeindrucken war. Still dankte Munisai den Göttern dafür. Nakata ließ sich jedoch nicht beirren.
«Die Ehre befiehlt, dass wir entscheiden dürfen, wem unsere Vergeltung zuteilwird», entgegnete der alte Mann und verbat Hayato mit einer abrupten Handbewegung den Mund. «Munisai hat uns kein Leid zugefügt, Bennosuke aber unser Blut vergossen. Daher verlangen wir seinen Tod.»
«Befiehlt die Ehre nicht auch, dass man sich einem Höhergestellten fügt?», fragte Ukita. «Der in diesem Fall feststellt, dass Munisai ein faires Angebot vorgelegt hat?»
«Ich frage mich, ob der Tribut, den dieser Clan dem Höhergestellten regelmäßig zahlt, nicht ebenfalls als ‹fair› anzusehen ist», entgegnete Nakata unverblümt.
Ukitas Kopf zuckte zurück, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Keinesfalls durfte ein Fürst an seine Abhängigkeit von anderen erinnert werden. Seine Augen funkelten vor Wut, kehrten aber schnell zu dem kühlen, berechnenden Blick zurück. Er wusste nur zu gut, dass er Nakatas Gold brauchte.
«Also gut», sagte er schmallippig. «Eingedenk der langjährigen Unterstützung durch Euren Clan schlage ich einen Kompromiss vor. Zunächst
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