Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
waagerecht vor sich hin. Seine Hand war stark und ruhig. Fürst Nakata und Hayato spannten sich sichtlich an, ebenso Shinmen. Es entstand eine ängstliche Pause, während alle abwogen, was Munisai vorhatte. Zwar agierte er langsam und bedächtig, aber sie alle wussten, wozu er fähig war. Wenn sie versuchten, die Wachen zu rufen oder zu fliehen, konnte er sie leicht mit ein paar Hieben ins Jenseits befördern, ehe Hilfe eintraf. Sein Blick war starr auf Nakata gerichtet.
«Munisai», sagte Ukita langsam, «ich rate Euch: Überlegt Euch das. Steckt das Schwert wieder ein, oder der Tod ist Euch sicher.»
Munisai hätte lachen können. Der große Fürst hatte keine Ahnung, wie recht er damit hatte. Er nahm seine ganze Kraft und seinen ganzen Mut zusammen und ergab sich gänzlich seinem Schicksal. Dann landete er einen verheerenden Schlag, dem Hayato und sein Vater nichts entgegenzusetzen hatten.
Doch zum ersten Mal in seinem Leben brauchte Munisai dazu kein Schwert.
Kapitel 10
E ine Woche später wogte Munisai das Gras von Miyamoto um die Füße. Es war lang, trocken und strohfarben, aber das kümmerte ihn nicht. Er war daheim, und es war eine Berührung. Das eine wie das andere hatte in den zurückliegenden sieben Tagen für ihn den Rang einer unbeschreiblichen Kostbarkeit angenommen.
Er hockte sich hin, und sein Herz pochte noch von der Anstrengung. Auch das war wunderbar: Sein warmes, lebendiges Blut, dessen Fluss er bis in die Fingerspitzen zu spüren meinte. Er atmete ein und aus, ein und aus.
Vom Bergrücken über dem Tal sah er auf Miyamoto hinab. Die Felder waren inzwischen trockengelegt, die Reisernte eingebracht, und das Stroh wartete in Haufen darauf, verbrannt zu werden. Auf der anderen Seite des Tals raffte ein Bauernmädchen die Röcke und hüpfte, inmitten einer Schar johlender Freunde, ins letzte Nass eines Bewässerungsgrabens. Seine wütende Mutter zerrte es wieder heraus und schimpfte – vergeblich.
Am Himmel zog ein Schwalbenschwarm zur Küste hin, die Tiere flohen vor dem nahenden Winter in wärmere Regionen. Als hätten sie Munisais Blick bemerkt, flogen die hundert kleinen Leiber gemeinsam einen Schlenker.
An seiner Seite stand Bennosuke.
Sie waren zum Üben hier heraufgekommen, da sich Munisai neuerdings in der dunklen Holzhalle des Dojo wie eingesperrt fühlte. Der Junge hatte während der zwei Wochen, in denen seine Füße heilten, alle Energie in sich aufgespeichert, und war jetzt, da er wieder gehen konnte, deutlich weniger erschöpft als Munisai.
«Ich habe nachgedacht, Herr», sagte Bennosuke, der kaum außer Puste war.
«Worüber?», fragte Munisai.
«Was wir tun sollten, wenn die Nakata kommen.»
«Oh.»
Er war erst am Vorabend aus Okayama zurückgekehrt. Was er dort getan hatte, zog vielerlei Konsequenzen nach sich. Alle möglichen Dinge mussten geregelt werden. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, es dem Jungen zu erklären. Bennosukes jugendlicher Elan hatte ihm die Worte nicht über die Lippen kommen lassen.
«Wir könnten uns auf dieser Felsnase da drüben postieren», schlug Bennosuke vor und zeigte mit seinem Holzschwert darauf. «Siehst du, es führt nur ein ganz schmaler Weg da hinauf. Da könnten sie uns nicht umstellen und sich auch nicht von hinten anschleichen. Sie müssten in kleinen Trupps gegen uns antreten. Das würde die ganze Sache etwas fairer gestalten.»
«Nein», widersprach Munisai.
«Ich weiß, deine Verletzung behindert dich weiterhin, Herr. Doch auch nur mit einer Hand bist du immer noch besser als jeder Mann, den Nakata gegen dich aufbieten könnte. Ich postiere mich zu deiner Linken und schirme deinen verwundeten Arm ab. So könnten wir beisammen stehen. So könnten wir es schaffen.»
«Nein, Bennosuke.» Er kannte den Rausch der Entschlossenheit nur zu gut, der einen Mann bei solchen Gelegenheiten erfassen konnte, und spürte ihn auch jetzt bei seinem Sohn. Der arme Junge, für nichts und wieder nichts so aufgeregt. «Nakata wird nicht kommen, um gegen uns zu kämpfen.»
«Wie meinst du das?»
«Man hat eine Abmachung getroffen.»
«Was denn für eine Abmachung?»
Munisai seufzte. Dann erhob er sich und legte dem Jungen seine gesunde Hand auf die Schulter. Bennosuke spannte sich an, und da erst wurde Munisai klar, dass er den Jungen seit seiner Rückkehr im Sommer nur berührt hatte, wenn er ihn geschlagen, mit ihm gerungen oder ihn niedergeworfen hatte.
Er dachte daran, wie er ihn einst emporgehoben hatte, wie zart er als
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