Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
ausspie.
So gereinigt, löste er den Haarknoten, der auf der kahlrasierten Kopfoberseite ruhte. Diese Frisur diente auch dazu, einen Helm auszubalancieren, doch für derlei Dinge hatte Munisai nun keinen Bedarf mehr. Vielmehr strich er sich, aus Rücksicht gegenüber denen, die er nun bald zurücklassen würde, das lange Haar nach hinten, schlang es zusammen und verknotete es am Hinterkopf, sodass es wie ein gekrümmter, schwarzer Stab hervorstand. Das war die Haartracht der Todgeweihten, denn so ließ sich der Kopf nach der Enthauptung leichter handhaben.
Nun brachte man ein längliches weißes Hanftuch und breitete es auf dem Boden aus. Munisai erhob sich, legte das Übergewand ab und kniete sich auf das eine Ende des Tuchs nieder, mit Blick nach Norden. Ihm gegenüber stellte man eine schlanke Vase hin, die einen sorgfältig arrangierten Strauß heiliger Blumen und Kräuter enthielt.
«Wünscht der höchst ehrenwerte Munisai Shinmen, ein Todesgedicht zu verfassen?», fragte der Höfling.
«Wie es sich geziemt», antwortete Munisai.
Wasser wurde Tropfen für Tropfen mit schwarzem Pulver zu Tinte angerührt. Dann brachte man Munisai einen Pinsel und ein Blatt Papier, außerdem eine genau abgemessene Menge Sake in einer Schale, von der er in zwei Schlucken genau die Hälfte trank. Dann stellte er die Schale ab und nahm den Pinsel zur Hand.
Ohne überlegen zu müssen, begann er zu schreiben; er hatte sich die Worte zurechtgelegt. Bennosuke und alle anderen sahen zu, wie Munisais Hand übers Papier tanzte.
«Wünscht der höchst ehrenwerte Munisai Shinmen, dass das Gedicht vorgetragen wird?», fragte der Höfling, nachdem Munisai den Pinsel beiseitegelegt hatte.
«Wie es sich geziemt», antwortete Munisai.
Man überbrachte das Blatt ehrfürchtig dem Höfling. Der hielt es vorsichtig vor sich hin, damit nicht etwa die Tinte verlief. Er las es einmal still für sich, um beim Vortragen nicht ins Stocken zu geraten, wobei sich die dicken Lippen vor den geschwärzten Zähnen bewegten. Dann atmete er tief durch und begann, mit trauriger Stimme zu intonieren:
Vor acht Jahren zog ich in des Landes Weiten,
Sah kommen und vergehn die Jahreszeiten.
Bin nur ein Blatt, das welkt, vom Wind verweht,
Indes der Baum hienieden fest als Gleichnis steht.
Alle Männer in der Halle nickten schweigend und glaubten das Gedicht zu verstehen. Bennosuke wusste es besser: Diese Worte waren für ihn allein bestimmt.
Munisai leerte den Sake mit zwei wohl abgemessenen Schlucken. Dann trug man die Schale und das Schreibzeug fort und verschwand damit hinter dem Paravent. Nun brachte ein Mann ein Holztablett, auf dem der zeremonielle Dolch ruhte, und setzte es vor Munisai ab. Die Klinge schimmerte silbern, als Munisai den Dolch nahm und auf seinem Handrücken die Schärfe erprobte. Er nickte zufrieden und gab den Dolch dem Mann zurück, der nach ritueller Manier ein weißes Seidentuch achtundzwanzig Mal um die Mitte der Klinge schlang.
Das brauchte einige Zeit. Währenddessen öffnete sich die Tür an der Südseite des Dojo. Kazuteru kam herein und verneigte sich vor der Versammlung.
«Mein Name ist Kazuteru Murayama. Mir wurde die besondere Ehre zuteil, dass der höchst ehrenwerte Munisai Shinmen mich als seinen Sekundanten akzeptiert hat.»
Die Anwesenden verneigten sich ebenfalls, und dann ging der junge Samurai schweigend zu Munisai und stellte sich zu ihm. Dieser nahm keine Notiz von ihm; seine Augen blickten starr geradeaus, als könnten sie die Wand des Dojo durchdringen.
Kazuteru band sich die Kimonoärmel hoch, um die Arme frei zu haben. Leise zog er sein Langschwert aus der Scheide und tröpfelte etwas geweihtes Wasser über die geschwungene Klinge. Sein Schwert vor sich haltend, nahm er seinen Platz auf dem weißen Hanftuch ein, postierte seine bestrumpften Füße links hinter Munisai. Dann machte er sich bereit zum Schlag, hielt das Schwert in der korrekten Position – das Heft nah an der Wange, die Ellenbogen auf Augenhöhe – und konzentrierte sich auf Munisais Nackenhaare. Kazuteru schluckte, fixierte die feinen schwarzen Striche und betete, sein Schwert möge den direkten Weg zu ihnen finden.
Als der Dolch korrekt umwickelt war, wurde er wieder auf das Tablett gelegt und Munisai gereicht. Er sah ihn lange an, den Blick auf die Spitze gerichtet. Der Mann rechts neben Bennosuke biss sich auf die Lippe.
«Das Ritual soll vollständig vollzogen werden», sagte Munisai. Einmal quer durch den Bauch und dann noch einmal
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