Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
Vom Netzwerk:
Stolz, das er dabei empfand, wiedererkannt zu werden, verblasste sofort wieder neben seinen Sorgen. Er befeuchtete sich die Lippen. «Unser Herr Fürst Shinmen hat mich zu Eurem Sekundanten ernannt.»
    Er war es also, der Munisai enthaupten würde, nachdem dieser sich den Dolch in den Bauch gerammt hatte. Das war eine Pflicht, die nur dem Namen nach auch eine Ehre war. Bestenfalls vollzog man es fehlerfrei und blieb so niemandem im Gedächtnis. Machte man aber irgendetwas falsch – schaffte man es nicht, den Kopf mit einem einzigen Hieb vom Rumpf zu trennen, oder holte man zu viel Schwung und geriet deshalb wie ein Betrunkener ins Wanken –, so war man anschließend mit dem Fluch beladen, jemand zu sein, der die letzten Lebensmomente eines anderen besudelt hatte. Das waren Sorgen, die dem Ritual selbst galten.
    Doch bereits zuvor konnte man entehrt werden, indem derjenige, der Seppuku verüben würde, einen nicht anerkannte. Kazuteru hielt den Kopf gesenkt und erwartete Munisais Urteil. Er hätte wirklich nicht sagen können, welche Antwort ihm lieber war.
    «Du bist noch recht jung für so etwas», sagte Munisai.
    «Ja, das bin ich, Herr.»
    «Aber Fürst Shinmen hat dich ausgewählt?»
    «Ja, das hat er, Herr.» So seltsam es auch war. Man hätte erwartet, dass die Wahl auf einen älteren Samurai aus der Leibwache des Fürsten fiele, auf einen Mann, der Munisai gut kannte. Doch Shinmen hatte sich für Kazuteru entschieden und seine Einwände, er sei zu jung und unerfahren, nicht gelten lassen.
    «Ja, du bist jung, aber du bist mir auch ein treuer Gefolgsmann, Kazuteru», hatte der Fürst in herzlichem Ton erwidert. «Deine Loyalität steht außer Frage. Du wirst meinen Befehl abwarten, bevor du zuschlägst. Andere Samurai, die Munisai näherstehen, bekämen womöglich Mitleid mit ihm und würden ihm zu früh den Kopf abschlagen. Bei dir aber weiß ich, dass deine Treue zuallererst mir gilt und dass du auf meinen Befehl warten wirst, bevor du zuschlägst, damit das Ritual auf korrekte Weise zum Abschluss gebracht wird. So ist es doch, nicht wahr?»
    «Selbstverständlich, Hoheit», hatte Kazuteru geantwortet und sich verneigt.
    «Glaubst du, du bist dem gewachsen?», fragte Munisai nun.
    «Ja, Herr», log Kazuteru.
    «Also gut. Du hast mir ja schon bewiesen, wie gut du mit dem Kurzschwert umgehen kannst. Ich vertraue darauf, dass du das Langschwert ebenso gut beherrschst.»
    «Ich werde Euch nicht enttäuschen, Herr.» Kazuteru verneigte sich so tief, dass er mit der Stirn beinahe den Boden berührte, und betete, das möge wahr werden.
    «Ist im Dojo alles bereit?», erkundigte sich Munisai, nachdem sich Kazuteru wieder erhoben hatte.
    «Jawohl, Herr.»
    «Dann lass uns gehen.» Munisai ließ das Blatt auf den sorgfältig geharkten Sand fallen. Daneben hinterließen die Holzsandalen des Samurai Abdrücke, welche die Diener, die sich um den Garten kümmerten, am nächsten Morgen erst nach einigem Zögern tilgen würden.
    Seite an Seite gingen sie zum Dojo hinab. Munisai blickte sich nicht noch einmal um. Es war still im Dorf, da man den Bauern befohlen hatte, den ganzen Nachmittag in ihren Hütten zu verharren. Wachen, die das Blau Shinmens und das Burgunderrot Nakatas trugen, verneigten sich, als die beiden Männer an ihnen vorübergingen.
    Rings um das Dojo hatte man einen Sichtschutz aus weißem Tuch aufgespannt. Shintoistische und buddhistische Geistliche umkreisten psalmodierend das Gebäude und verstreuten dabei reinigendes Salz. Gut fünfzig Schritte vor dem Dojo blieb Munisai stehen.
    «Lass mich noch einen Moment allein», sagte er.
    «Sehr wohl, Herr», erwiderte Kazuteru, der nicht wusste, ob das üblich war, aber auch nicht danach fragen mochte. «Wir werden Euch erwarten. Der Nordeingang befindet sich zu unserer Linken. Ich gehe durch den Südeingang hinein.»
    «Gut», sagte Munisai. Kazuteru verneigte sich und ließ ihn allein.
    Munisai hatte bis dahin nie bemerkt, wie unermesslich weit der Himmel war. Er sah hinauf: ein makelloses Blau, in großer Höhe hier und da von weißen Wolkenfetzen durchzogen. Die Sonne schien golden auf ihn hinab. In ihrem Licht kam er sich winzig vor. Selbst durch seine Sandalen hindurch spürte er den Kies und seine Textur, die über alle Vorstellung ging. Der Wind trug den Geruch verbrannter Kräuter mit sich, der aus dem Dojo drang.
    Munisai senkte den Blick wieder zur Erde hinab. Ganz in der Nähe stand eine Wassertonne, und er ging hinüber und sah hinein. Das Wasser

Weitere Kostenlose Bücher