Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
zurück, und zwar lautlos. Einige der Anwesenden waren so bewegt, dass sie angesichts solcher Tapferkeit und solchen Anstands zu nicken begannen. «Möge diese Tat Eure Vergebung bewirken, Hoheiten.»
Munisai hob mit der gesunden Rechten den Dolch an der mit dem Tuch umwundenen Stelle empor. Dann legte er die schwache Linke unter die Rechte und umfasste sie, damit sie, glitschig von Blut, nicht wegrutschen konnte. Er setzte sich die Dolchspitze links an den Bauch, wobei die scharfe Klinge mühelos die erste Lage Seide durchtrennte …
… Ein Moment der Euphorie folgte, in dem alles vollkommen erschien – er konnte unendlich weit sehen, oben die goldene Sonne am Himmel, unten der Sohn, der ihm zusah, köstlicher Kräuterduft hing in der Luft, alle waren ein Teil von ihm und er ein Teil von ihnen …
… Dann drang der Dolch hinein. Sofort sah Bennosuke, wie sich die weiße Kimonoseide rot färbte. Außer einem leichten Ausatmen gab Munisai keinen Laut von sich. Er hatte die Augen geöffnet, und seine Halssehnen waren vor Qual gespannt. Blut tropfte hörbar auf den Boden, und zu diesem Geräusch riss Munisai die Klinge seitwärts.
So scharf der Dolch auch war, kostete es doch immense Anstrengung, den Bauch damit aufzuschneiden. Munisai zitterten die Hände, während er langsam eine gezackte rote Linie über seinen Leib zog. Er biss so fest die Zähne zusammen, dass Bennosuke fürchtete, sie würden zerbrechen. Noch einmal atmete Munisai leise zischend aus, sonst aber war nichts zu hören. Eine rosafarbene Masse aus Eingeweiden trat langsam hervor.
Die Sohlen von Kazuterus Socken wurden feucht von dem Blut, das sich auf dem Hanftuch ausbreitete wie ein Fluss, der über die Ufer tritt und eine Ebene überschwemmt. Selbst von hinten sah er Munisai an, welche zusätzliche Mühe es ihn kostete, die Klinge zu wenden. Er spürte den Krampf, der Munisais Körper dabei erfasste, und hörte, wie dunkleres Blut nun schwallweise auf den Boden platschte. Er wartete weiter ab, das Schwert bereit, spornte seinen Heerführer in Gedanken an und betete, dass er ihn in jenem nun schnell nahenden Moment nicht enttäuschen würde.
Auch Bennosuke trieb Munisai im Geiste über jene schrecklichen letzten Zentimeter voran. Vor Bewunderung schlug sein Herz höher, während sich schon Gedärme aus Munisais Bauch hervorschlängelten. Es war wahre Tapferkeit, was er da vor sich sah, lautlos und heldenhaft.
Noch zwei wilde Rucke, ein letztes Aufbieten aller Kräfte, dann war es vollbracht. Munisai hatte es tatsächlich geschafft, und immer noch hatte sich ihm kein Laut entrungen. Kazuteru sah zu, wie Munisai erleichtert die Schultern hängen ließ, sich dann vorbeugte und den Nacken herausstreckte, als wollte er ihn auffordern, ihn nun zu enthaupten. Kazuteru gestattete sich, kurz nach dem Signal zu sehen, doch zu seinem Erstaunen verharrte Fürst Shinmen reglos. Verwirrt wartete er weiter ab.
Gedärme klatschten auf das Hanftuch. Die Qual ließ Munisai lautlos erschauern. Bennosuke spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Auch er sah zu Fürst Shinmen hinüber. Der Fürst blickte unsicher und besorgt, und der Junge fragte sich, was ihn abhielt. Er musste doch lediglich mit einer Handbewegung den letzten Hieb befehlen, weiter nichts.
Doch während er so zu Shinmen hinübersah, bemerkte der Junge, dass jemand ihn anblickte – das einzige andere Gesicht, das nicht auf Munisai gerichtet war –, und da erst entdeckte er den Hayato Nakata, den er am heutigen Tag erwartet hatte. In den Augen des jungen Fürsten funkelten Bosheit, Triumph und Heimtücke. Der Fächer, den er in der verbliebenen Hand hielt, ruhte auf dem Handgelenk Fürst Shinmens.
Verrat. Fürst Shinmen hatte sie verraten.
In seiner Fassungslosigkeit sah Bennosuke ihren Plan ganz deutlich vor sich: Die Nakata wollten Munisai nicht einfach nur töten, sondern ihn vollkommen vernichten. Sie hatten Shinmen dazu gebracht, das Signal zur Enthauptung so lange zurückzuhalten, bis Munisai einen Schmerzenslaut von sich gab, und damit würde sich Munisai vor Zeugen aus dem ganzen Land zugrunde richten.
Und was konnte Bennosuke jetzt dagegen unternehmen? Nichts. Er war unbewaffnet, und wenn er zu irgendeiner Tat schreiten würde, würde er damit Munisais Tod endgültig verderben. Ihm war klar: Die einzige Chance, die Munisai noch hatte, seine Ehre zu wahren, bestand darin, es bis zum Schluss schweigend zu ertragen. Es war eine kleine Chance, denn bis man verblutet war, dauerte es
Weitere Kostenlose Bücher