Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
eine ganze Weile. Aber das war das Einzige, was ihm noch blieb.
Da Hayato nun wusste, dass Bennosuke im Bilde war, wandte er sich wieder Munisai zu. Keiner hatte bemerkt, dass er kurz den Blick abgewandt hatte; alle sahen wie gebannt dem Schauspiel zu, das sich ihnen bot. Der in Burgunderrot gekleidete Fürst wartete auf den Laut der Verdammnis, und Bennosuke konnte nur ohnmächtig zusehen und beten, sein Vater möge über die Kraft verfügen, Hayato diesen Triumph zu verwehren.
Plötzlich erschauerte Munisai, und ein leises Keuchen entwich seinen Lippen. Dann sank er nach vorn und stützte sich mit einer Hand ab. So kauerte er dort, und die Gedärme drangen weiter aus ihm hervor. Immer noch gab er keinen Laut von sich. Der Dolch steckte weiterhin in seinem Bauch, zitterte schimmernd unter den Zuckungen des Körpers.
Kazuteru blickte noch einmal flehentlich zu Fürst Shinmen hinüber, der aber gab immer noch kein Signal. Er wollte zuschlagen, malte es sich aus, sorgte sich nicht mehr, er könnte etwas falsch machen – musste aber seinem Herrn gehorchen. Er fasste den Schwertgriff fester.
So zog es sich hin. Munisais Hand krallte sich in das Hanftuch, und zwischen dem Rot des Stoffs traten seine weißen Fingerknöchel hervor. Der Blutaustritt verlangsamte sich nun, drang aus tieferen Regionen, spritzte im Rhythmus seines schon stockenden Herzens. Jeder dieser Spritzer gab Bennosuke Hoffnung, sein Vater würde es erdulden, würde nun einfach niedersinken und sterben.
Doch Seppuku war Seppuku. Mit einem Mal zuckte Munisai, als müsste er husten, und dann entrang sich seinen Lippen ein Stöhnen. Es war kein bewusster Laut, sondern ein unwillkürlicher – ein gedehntes, kehliges Stöhnen. Die versammelten Zeugen schreckten entsetzt zurück. In diesem Moment zog Fürst Shinmen seine Hand unter Hayatos Fächer hervor und gab Kazuteru einen Wink.
Dankbar und froh schlug der junge Samurai zu.
* * *
E
r hatte sich an die unwirkliche Hoffnung geklammert, dass Dorinbo sich irrte und Yoshikos Geist ihn erwarten würde. Doch sie war nicht da.
Schon hatte er die Welt der Sinnesempfindungen hinter sich gelassen, sodass ihm zwar bewusst war, dass sein Körper Schmerzen litt, es ihn aber nicht mehr kümmerte. Was waren ihm Schmerzen jetzt noch – außer einer fleischlichen Erinnerung? Seine Augen schienen diese und zugleich bereits die nächste Welt zu sehen, entdeckten dort aber keine Yoshiko. Er war allein. Das ergab keinen Sinn. Sie musste ihm verzeihen. So sollte es doch sein.
Munisai wurde sich bewusst, dass er – sein Körper, nicht seine Seele, denn die beiden trennten sich nun zusehends – einen Ton von sich gab, und er konnte nichts tun, um das zu verhindern. Dunkel ahnte er, dass dies falsch war, dass Töne zu machen schlecht sei, dann aber musste er feststellen, dass er gar nicht mehr wusste, was ein Ton überhaupt war. Es hatte etwas mit der Welt der Lebenden zu tun, und dieser Welt fühlte er sich nicht mehr angehörig.
Plötzlich eine andere Empfindung: ein brennender Schmerz an einer Stelle, die er früher einmal als seinen Hals bezeichnet hätte, und dann begann sich alles zu drehen. Farben und Formen wirbelten und tanzten um ihn herum, aber immer noch keine Yoshiko, und dann nahte die Dunkelheit. Die Dunkelheit hüllte ihn ein, und er war allein, aber da war keine Yoshiko, keine Yoshiko, da war keine …
* * *
D orinbo kniete vor dem Tempel. Es war Nacht. Im Licht einer Papierlaterne flocht er den letzten Zweig. Bennosuke kam wortlos dazu und kniete sich neben seinen Onkel.
Die angereisten Samurai waren wieder fort, und im Dorf war Ruhe eingekehrt. Bennosuke hatten sie nicht beachtet, und bei ihrer Abreise hatte er in ihren Gesprächen immer wieder die gleichen Worte gehört: Schande, Feigling, unehrenhaft, Munisai. Es hatte auch Skepsis gegeben, in unterschiedlichem Maße, doch dann waren Männer mit Börsen voller Nakata-Gold eingeschritten. Sie beharrten darauf, Munisai habe sich angemaßt, selbst das Signal zu seiner Enthauptung geben zu wollen, und dabei habe er kläglich versagt. So kamen die Nakata zu ihrem Sieg. Selbst Männer, die nicht mit ihnen verbündet waren, würden die beschämende Nachricht in alle Welt hinaustragen, und Shinmen würde es nicht bestreiten, denn er hatte sich auf die Seite der Nakata geschlagen. Niemand würde daran zweifeln, dass die Geschichte der Wahrheit entsprach.
Nur ein einziger Mann hatte Bennosuke direkt angesprochen. Hayato Nakata hatte sich unter der
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