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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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den Kopf geschoren, doch die Waffe hatte er abgeben müssen, um zumindest den Anschein von Bestrafung zu wahren. Ohne sein Schwert fühlte er sich sehr unbehaglich.
    Er wollte keinesfalls die Zeremonie stören – nicht nur, weil sein Vater es ihm untersagt hatte, sondern auch, weil er das Ganze begreifen wollte. Noch hatte er nicht verstanden, weshalb sich Munisai statt für die Flucht für Seppuku entschieden hatte, weshalb er mit solcher Ehrfurcht davon sprach, es so verherrlichte. Die gespannte Erwartung, die in der Luft lag, war ihm ein Rätsel. Die Männer wirkten keineswegs schaulustig, sondern saßen vielmehr stocksteif da, mit einer Miene, als betrachteten sie einen heiligen Gegenstand und bereiteten sich darauf vor, in seiner Reinheit zu schwelgen.
    Weshalb verhielten sie sich so? Es waren Männer aus den höchsten Rängen des ganzen Landes, nicht irgendwelche Anhänger eines obskuren, krankhaften Kults, und dennoch hatten sie sich hier versammelt, um einem Mann dabei zuzusehen, wie er sich die Eingeweide zerschnitt. Das konnte man vermutlich nur verstehen, wenn man es einmal miterlebte. Wenn sich beim Seppuku die wahre Größe eines Mannes zeigte – wie all die Anwesenden hier offensichtlich glaubten –, dann wollte Bennosuke sehen, spüren, wissen, was es damit auf sich hatte.
    Selbst wenn das bedeutete, dass er seinem Vater beim Sterben zusah.
    Seinem «Vater» … Er schämte sich dafür, dass er vor Munisai geweint hatte. Es war kindisch und peinlich, verriet Bennosuke aber, dass er dem Mann vielleicht nähergekommen war, als er gedacht hätte. Es hatte zumindest erste Anzeichen der Annäherung gegeben, doch nun war ihnen alles, was sich daraus möglicherweise noch hätte ergeben und was es ihnen im Laufe der Zeit an Frieden hätte bringen können, entrissen worden.
    Er hasste, was aus seinem Leben geworden war, wünschte sich die Einfachheit der Kindheit zurück. Aber die Kindheit war vorbei, und jetzt lagen die Aufgaben eines Mannes vor ihm. Er dachte an Munisais Worte über die Pflichten eines Samurai. Er dachte an Vergeltung und sah noch einmal zu Hayato hinüber. Der junge Fürst blickte immer noch unergründlich vor sich hin.
    Konnte Bennosuke vollbringen, was Munisai von ihm verlangt hatte? Konnte er sein Leben dieser einen Sache widmen? Er wusste es nicht.
    Vielleicht würde er dazu in der Lage sein, wenn ihm Munisai erst einmal vorgeführt hatte, wie man starb. Er konnte nun weiter nichts tun, als zu warten und sich zu bemühen, ein Samurai zu sein, so wie die Männer um ihn her.
    Dass Munisai eingetroffen war, bemerkte man daran, dass sich die vagen Schatten der rings ums Dojo postierten Wachen nacheinander verneigten, während er schweigend an ihnen vorüberging – eine graue, geisterhafte Gestalt hinter dem weißen Sichtschutz. Ab jetzt lief alles in gemäßigtem Tempo ab, die Herzschläge genau abgezählt, alle Handlungen bedächtig ausgeführt.
    Die Tür an der Nordseite des Dojo glitt auf, und Munisai kam herein. Er wartete ab, bis man die Tür hinter ihm wieder geschlossen hatte, und verneigte sich dann tief vor den Anwesenden. Schweigend trat er vor Shinmen und die Nakata, sank auf die Knie und senkte die Stirn auf den Boden. Die Fürsten nickten ihm zu, und er kniete sich aufrecht hin.
    «Der höchst ehrenwerte Munisai Shinmen», intonierte ein Höfling von der Seite aus, ein Mann mit geschwärzten Zähnen und langem Schnurrbart, «Heerführer und Vasall des höchst ehrenwerten Fürsten Sokan Shinmen. Ihr seid von dem höchst ehrenwerten Fürsten Hideie Ukita hierher befohlen, um Euch durch Aufschneiden des Bauchs zu opfern, zur Wiedergutmachung für das von Eurem Sohn begangene Verbrechen der Verstümmelung des höchst ehrenwerten Fürsten Hayato Nakata. Erhebt Ihr hiergegen Einwände?»
    «Nein, Hoheiten», antwortete Munisai. «Mögen meine heutigen Taten alle Schande tilgen.»
    «Das werden sie gewiss», erwiderte der Höfling. «Setzen wir nun das Ritual fort.»
    Nachdem sich Munisai ein weiteres Mal verneigt hatte, gab er seine Schwerter ab, die auf einem nahen Podest abgelegt wurden. Hinter einem Paravent holte man drei kleine Eimer hervor und brachte sie ihm. Einer enthielt heißes, ein zweiter kaltes Wasser. Man schöpfte es zu gleichen Teilen in den leeren dritten Eimer. Munisai tauchte seine Hände hinein und wusch sie. Dann führte er sich die Schöpfkelle an die Lippen und spülte sich mit dem Wasser den Mund aus. Man hielt ihm eine kleine Schale hin, in die er

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