Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Er hätte sich gern seinem Onkel erklärt, wusste aber, dass es sinnlos wäre, ebenso wie Dorinbo wusste, dass es sinnlos wäre, wenn er versuchte, ihn zum Bleiben zu bewegen.
Der Mönch erhob sich und nahm den Papierschirm von der Lampe, sodass die nackte Kerzenflamme zum Vorschein kam. Dann nahm er eine bereitliegende Fackel und hielt ihr Ende an die Flamme. Das mit Öl getränkte Tuch der Fackel entzündete sich und loderte hell auf. Langsam ging der Mönch damit zu dem in einen Scheiterhaufen verwandelten Tempel. Er hielt die Fackel an den ersten Zweig, und damit begann das große Feuer. Bald züngelten rings um den Sockel des Tempels Flammen hervor. Dorinbo klatschte zweimal in die Hände, verneigte sich und hob die Arme, als würde er zu Amaterasu beten. Schließlich wandte er sich wieder Bennosuke zu, wobei er sich als dunkle Silhouette vor den emporwachsenden Flammen abzeichnete.
«Wir sind die Kinder der Amaterasu, Bennosuke. Wir werden geboren, um zu Asche zu verglühen und aufs Neue geboren zu werden. Unsere Leiber verbrennen. Manchmal brennen auch unsere Städte nieder. Eines Tages werden vielleicht gar unsere Berge und Flüsse in Flammen aufgehen. Wir aber erstehen stets aufs Neue, und wo wir wiedergeboren werden – das liegt allein bei uns. Das hat Amaterasu uns zum Geschenk gemacht.» Der Mönch wies auf das Feuer, das nun mit ersten Flammen den toten Munisai umzüngelte. «Das ist die Asche deiner Kindheit. Nun gehe hin und erhebe dich zu dem, der du sein willst», sagte er und verneigte sich.
Bennosuke wollte noch etwas sagen, aber ihm fehlten die Worte. Lange sah er seinen Onkel an, erwiderte dann die Verneigung und schob sich das Langschwert unter die Schärpe, die er um die Taille trug. Es fühlte sich richtig an. Dann machte er kehrt und ging in die Nacht davon, während hinter ihm Hoffnungen aus zwanzig Jahren in den Himmel stiegen.
Dorinbo sah ihm nach und begann ein stummes Gebet.
Der Kreuzzug des Kindes
Kapitel 11
I m Süden Japans fiel nur selten Schnee, allenfalls auf den Gipfeln der Gebirge, die Winter aber waren dennoch bitterkalt. Männer und Frauen hüllten sich in dicke Kleiderschichten, die Kinder kümmerte es nicht so sehr, und die Alten grummelten, es sei der strengste Frost seit Menschengedenken und damit der eindeutige Beweis, dass das Ende der Welt nahe sei.
Vorläufig aber bestand die Welt noch weiter, und unter einem klaren Morgenhimmel war ein Bauer damit beschäftigt, Holz zu hacken. Das Winterlicht war so grell, dass er die Klötze mit zusammengekniffenen Augen anvisieren musste, um sie mit der Axt zu spalten. Neben ihm erhob sich bereits ein Haufen Brennholz, der für eine ganze Woche reichen würde, aber er hackte weiter. Da der Erdboden gefroren war und bis zum Frühjahr nicht bestellt werden konnte, kümmerte er sich, um irgendetwas zu tun zu haben, eben ums Holz.
«Sei gegrüßt, Freund», erklang eine Stimme. Der Bauer sah sich um und erblickte zwei Männer.
Der ihn angesprochen hatte, stand gut zehn Schritt entfernt und lächelte zu ihm hinüber. In der Kälte stieg eine Atemwolke aus seinem Mund. Der zweite stand noch auf dem Weg, auf dem die beiden gekommen sein mussten. Beide trugen dicke Reisegewänder, die ihre Umrisse verbargen und in denen sie die Hände vor der Kälte vergraben hatten.
«Hallo», erwiderte der Bauer zurückhaltend, verneigte sich und legte sich dann die Axt auf die Schultern. Die Männer trugen keine Schwerter und hatten sich den Kopf nicht rasiert, es war also nicht nötig, in Unterwürfigkeit zu verfallen.
«Das hier ist doch das Dorf Miyamoto, nicht wahr?», fragte der Mann, immer noch lächelnd.
«Ja», antwortete der Bauer und nickte. «Aber wenn ihr gekommen seid, um den Tempel zu besuchen: Der wird erst im Frühjahr wieder aufgebaut.»
«Das ist sehr schade, aber ich bin gekommen, um den dortigen Mönch zu sprechen. Er soll ein sehr fähiger Heiler sein», sagte der Mann.
«Ja, das ist er. Aber du siehst gar nicht krank aus.»
«Nein, ich erfreue mich glücklicherweise bester Gesundheit. Es geht um meinen Sohn. Er hat einen Hautausschlag. Man sagte mir, der Junge des Mönchs habe auch an so etwas gelitten, und der Mönch habe es zu heilen vermocht.»
«Nein, das stimmt nicht. Der ist mit Schorf und Pockennarben bedeckt, solange ich zurückdenken kann», widersprach der Bauer.
«Dann ist er vielleicht erst kürzlich davon geheilt worden. Hast du ihn in letzter Zeit gesehen?»
Der Bauer überlegte. «Nein. Wenn ich so
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