Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
und die Mittel dafür zu verweigern.
Außerdem erwartete der Kongreß von ihnen die ständige Wiederholung der Forderung nach internationalen Schiedsgerichten zur
Beilegung zwischenstaatlicher Streitfälle, immer wieder erneuerte Anträge nach allgemeiner Abrüstung, das Verlangen auf Abschaffung
der geheimen Diplomatie und die Veröffentlichung aller bestehenden und künftigen Verträge und Abmachungen zwischen den Regierungen
und schließlich die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht aller Völker und deren Verteidigung gegen kriegerische Angriffe
und gewaltsame Unterdrückung. Das Internationale Sozialistische Büro sollte bei drohender Kriegsgefahr rasch mobilisierend
tätig werden.
Rosa Luxemburg nahm die Aufgabenstellung dieser Friedensresolution sehr ernst. Doch in der deutschen Sozialdemokratie wurde
sie zunächst nicht erörtert. Außenpolitische Aspekte waren durch die Budgetbewilligungsdebatten in den Hintergrund gerückt.
Die »Leipziger Volkszeitung« wiederum, mit dessen Chefredakteur Paul Lensch Rosa Luxemburg 1910/11 eng zusammenarbeitete,
gab am 15./16. September 1910 nur einseitig den engen Standpunkt einiger Linker wieder, als sie die Forderungen nach Schiedsgerichten
und Abrüstung unaktuell und schädlich nannte.
Am 13. März 1911 beriet das englische Unterhaus den Marineetat für 1911/12. Presse und Parlamente auf dem europäischen Kontint
waren entsetzt darüber, daß ein gewaltiges Flottenbauprogramm geplant wurde: England sollte 1913 mehr Dreadnoughts in Kriegsbereitschaft
haben als der Dreibund und Frankreich zusammen. Die Empörung paarte sich mit der Hoffnung auf eine Wende im Rüstungswettlauf
der europäischen Großmächte, denn zugleich plädierte der englische Außenminister Sir Edward Grey für ein Abkommen zwischen
England und Deutschland zur Verringerung der Rüstungsausgaben und für internationale Schiedsgerichte zur Klärung von Streitfragen.
Er bezog sich in seiner Erklärung auf den deutschen Kanzler Bethmann Hollweg und den US-Präsidenten William H. Taft. Bethmann
Hollweg hatte 1910 im Reichstag |378| bemerkt, Deutschland begegne sich mit England in dem Wunsche, Rüstungsrivalitäten zu vermeiden und das gegenseitige Mißtrauen
in der Öffentlichkeit abzubauen. Taft hatte den Aufbau einer Friedenskommission angeregt und die Regierungen anderer Länder
aufgefordert, alle Rüstungsausgaben weltweit einzufrieren. Obgleich nach wie vor die Rüstungsmaschinerie aller Großmächte
auf Hochtouren lief, ständig neue lokale Konflikte ausbrachen und geschürt wurden und die Gefahr eines Weltkrieges wuchs,
griff eine Abrüstungseuphorie um sich. In vielen Parlamenten wurden entsprechende Initiativen vorgebracht oder befürwortet.
Namhafte Vertreter der II. Internationale und bekannte bürgerliche Pazifisten verlangten Rüstungsbeschränkungen und Garantien
zum Erhalt des Friedens.
Auch die deutsche Regierung ließ in der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« vom 15. März 1911 verlautbaren, Greys Bestreben
könne nur begrüßt werden. Sie biete eventuellen Vereinbarungen die Hand, doch bis zum idealen Zustand eines auf das Schiedsgerichtswesen
gegründeten Weltfriedens sei es noch ein weiter Schritt. 133
Die sozialdemokratische Fraktion beschloß am gleichen Tag, in einer Resolution zum Etat des Auswärtigen Amtes für die Abrüstung
zu Wasser und zu Lande zu plädieren. In dem von Ludwig Frank, Georg Ledebour und Philipp Scheidemann verfaßten Dokument wird
gefordert, der Reichskanzler möge, da die französische Deputiertenkammer und das englische Unterhaus die Bereitwilligkeit
zu Rüstungsbeschränkungen ausgesprochen hätten, sofort eine internationale Verständigung über die allgemeine Einschränkung
der Rüstungen in Verbindung mit der Abschaffung des Seebeuterechts herbeiführen. 134 Nach mehrtägiger außenpolitischer Debatte wurde dieser Antrag abgelehnt und statt dessen eine Resolution der Freisinnigen
Volkspartei angenommen, die die deutsche Regierung zu nichts verpflichtete. Kanzler Bethmann Hollweg hatte seine Zurückhaltung
u. a. damit begründet, es sei ungeklärt, »welche Geltung die einzelne Nation« in Europa hat. Das Recht des Stärkeren setze
sich schließlich in der Konkurrenz durch. Er sagte ganz offen: »Internationale, die Welt umspannende, von einem Weltkongreß
oktroyierte Schiedsgerichte halte ich für ebenso unmöglich wie internationale allgemeine Abrüstungen.« 135
|379| Georg
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