Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
diesem
Fall hart: »Die Gruppe, von der die Sammellisten in Kopenhagen ausgehen, hat sich im vergangenen Jahr von der Sozialdemokratie
Polens und Litauens abgesplittert, ist wegen Quertreibereien und Disziplinlosigkeit von dem Parteivorstand und von der Parteikonferenz
der Gesamtpartei aufgelöst worden, sie gehört also nicht mehr zur genannten Partei.[…] Wenn diese Gruppe nun wagt, weiter
unter der Firma der Partei, zu der sie nicht mehr gehört, aufzutreten und gar unter ausländischen Genossen unter dieser Firma
Gelder zu sammeln, so muß das als ein grober Mißbrauch von jedem Sozialdemokraten aufs schärfste verurteilt und öffentlich
festgestellt werden.« Die großen Aversionen gegen die Warschauer Gruppe erwuchsen aus Rosa Luxemburgs parteikonzeptioneller
Gegnerschaft zu Lenin und dessen Fraktion, »die in Rußland selbst die Spaltung der Arbeiterpartei und rücksichtslosen Fraktionskampf
seit Jahren systematisch betreibt, die ein von niemanden anerkanntes fiktives ›Zentralkomitee‹ gebildet hat, die alle Einigungsbestrebungen
hartnäckig hintertreibt und dadurch die russische Parteibewegung an den Rand des Ruins gebracht hat«. Diese Leute verstünden
kein Wort Polnisch, könnten deshalb über interne polnische Verhältnisse aus eigenem Wissen nichts aussagen, suchten »aber
planmäßig in der polnischen Sozialdemokratie dieselbe Spaltung großzuziehen, die sie in der russischen als ihre Spezialität
betreiben. Sie unterstützen deshalb blindlings die Quertreiber und Desorganisationen, die sich von der polnischen Sozialdemokratie
abgesplittert haben, um dadurch dieser Partei nach Kräften Schwierigkeiten zu bereiten – aus Rache dafür, daß die polnische
Sozialdemokratie die Spaltungspolitik in Rußland nach Kräften bekämpft.« 222
Zwischen Warschau, Bremen und Berlin, zwischen dem Hauptvorstand der SDKPiL und dem Parteivorstand der deutschen Sozialdemokratie
spielte sich zudem eine Affäre ab, die |409| als »Fall Radek« für Aufsehen und zusätzlichen persönlichen Konfliktstoff sorgte. Karl Radek, mit dem Rosa Luxemburg seit
1905 sporadisch Kontakt hielt, schrieb neben Artikeln für die »Leipziger Volkszeitung«, die »Bremer Bürger-Zeitung« und für
polnische Presseorgane auch politische Schriften. Ende März 1912 schenkte er ihr seine Studie »Der deutsche Imperialismus
und die Arbeiterklasse«.
In der Auseinandersetzung des Hauptvorstandes der SDKPiL mit der Warschauer Opposition stand er auf der Seite der Warschauer.
Seitdem bezeichnete Rosa Luxemburg ihn als unsicheren Kandidaten, riet ihren Freunden, sich ihn vom Leibe zu halten, denn
er mische sich überall ein und wäre ein Geschaftelhuber. Es war wohl folglich kein Zufall, daß der Hauptvorstand 1912 Karl
Radek beschuldigte, in früheren Jahren Gewerkschaftsgelder veruntreut zu haben, ihn aus der SDKPiL ausschließen ließ und sich
anmaßend empörte, daß die Bremer Sozialdemokraten ihn als Mitglied in die deutsche Sozialdemokratie aufgenommen hatten.
Mit »Blinder Eifer« überschrieb Rosa Luxemburg ihre Zuschrift, die am 14. September 1912 im »Vorwärts« erschien, nachdem die
»Bremer Bürger-Zeitung« den Text strikt abgelehnt hatte: »Daß Radek seinerseits Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um sich
als das Opfer eines versuchten Justizmordes auszugeben, ist menschlich verständlich. Daß allerlei gekränkte Leberwürste unter
den polnischen Studenten und Emigranten im Auslande sowie alle Elemente, denen der polnische Parteivorstand je auf die Hühneraugen
getreten hat, ihrerseits, von Radek bestürmt, gern die Gelegenheit ergreifen, um mal in der Öffentlichkeit ihrer ›tiefsten
Überzeugung‹ von der Grundschlechtigkeit der Führer der polnischen Sozialdemokratie Ausdruck zu geben, das ist wiederum nichts
Überraschendes und kann jemandem, der die Verhältnisse kennt, je nach dem nur widerlich oder lächerlich vorkommen.« 223
Der »Fall Radek« wurde zu einer persönlich ausufernden Polemik, in der jeder behauptete, die Positionen der Linken in der
sozialdemokratischen Bewegung schützen und verteidigen zu müssen. Rosa Luxemburg zog gegen das angebliche politische Märtyrertum
von Karl Radek rücksichtslos blank: »Erstens sind die polnischen Wortführer ohne Ausnahme selbst Vertreter |410| der radikalen Richtung und haben – jeder einzelne von ihnen – in ihrer 20jährigen Arbeit in der russisch-polnischen Bewegung
mehr für die Sache des
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