Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Radikalismus, wie gegen
die Vorschubleistung der opportunistischen Zersetzungselemente der Bewegung im vermeintlichen Interesse der Toleranz. Solange
nicht eine Parteikonferenz zustande kommt, die diese beiden Gesichtspunkte gleichmäßig berücksichtigt, wird Friede und Einigkeit
in der russischen Bewegung nicht einkehren.« 218
Nach der Prager Parteikonferenz im Januar 1912, zu der die SDKPiL nicht eingeladen worden war, trat Rosa Luxemburg vehement
gegen Lenin sowie all jene auf, die sich diesem »Spalter der Partei und der Bewegung« anschlossen oder ihn rechtfertigten.
Eine Gruppe oppositioneller Sozialdemokraten um Józef Unszlicht in Warschau überwarf sich mit dem von Jogiches angeführten
Hauptvorstand in Berlin. Ohne dessen Wissen organisierten sie am 10. Dezember 1911 in Warschau eine Konferenz, an der neben
13 Vertretern von Parteiorganisationen verschiedener Statdtteile auch zwei Gewerkschaftsfunktionäre teilnahmen. Sie kritisierten
die Methoden zur Belebung der Parteiarbeit im Lande, das Verhältnis zu den Gewerkschaften und zu PPS-Linken, die unregelmäßige
Herausgabe von »Czerwony Sztandar«. 1912 vertieften sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen dieser Gruppe und dem Hauptvorstand.
Persönliche Beleidigungen und Verdächtigungen blieben nicht aus. Rosa Luxemburg ermahnte Leo Jogiches, sich im Umgang mit
Kritikern und Mitstreitern zu mäßigen, z. B. Warski und dessen Frau sowie Marchlewski nicht zu brüskieren, obwohl beide ihre
Schwächen hätten. 219 Daß die Enttäuschung über das Scheitern seiner Parteikonzeption in der SDAPR Jogiches’ Blick für Ursachen und Realitäten
spezieller Parteientwicklungen in Polen, Rußland und Deutschland trübte, scheint Rosa |407| Luxemburg übersehen zu haben. Als er die Spaltung in der SDKPiL forcierte, unterstützte sie ihn vorbehaltlos, wie der Umgang
mit der innerparteilichen Opposition beweist.
Nachdem Ende 1911, Anfang 1912 in Warschau viele Genossen verhaftet wurden, verdächtigte der Hauptvorstand die Unszlicht-Gruppe,
mit der russischen Geheimpolizei zusammenzuarbeiten. Dzierżyński wurde nach Warschau gesandt, damit er dort ein zweites Leitungskomitee
aufbaute und für ein zweites Presseorgan sorgte. Bis Anfang Juni 1912 der Hauptvorstand das Oppositionskomitee und die gesamte
»Spalter«-Organisation in der Stadt für aufgelöst erklärte und ihre Führer aus der SDKPiL ausschloß, wirkten mehrere Gremien
und Leitungen gegeneinander. Nun bezichtigten alle Seiten einander der »Spaltung« und verleumdeten sich gegenseitig in den
internationalen Gremien der sozialistischen Bewegung. Im Internationalen Sozialistischen Büro sorgte dafür Rosa Luxemburg.
Selbst enge Mitstreiter wie Julian Marchlewski und Adolf Warski wurden zeitweilig verunsichert. Camille Huysmans leitete die
Erklärung des SDKPiL-Hauptvorstandes vom 8. Juli 1912 an die Delegierten der anderen Parteien weiter: Eine kleine Gruppe Unzufriedener
habe die SDKPiL nach schweren Verstößen gegen die Disziplin, das Statut und die Einheit der Partei gespalten, obwohl keine
echten politischen Differenzen zwischen den »Spaltern« und dem rechtmäßigen Hauptvorstand bestünden. Jogiches händigte die
Erklärung der Presse aus und informierte die deutsche Sozialdemokratie über die »bedeutungslose« Warschauer »Spalter«organisation,
für die wiederum Lenin im Schreiben vom 31. August 1912 an das Internationale Sozialistische Büro Partei ergriff. 220
Weder die »Spalter« noch Leo Jogiches oder Rosa Luxemburg gaben sich geschlagen. Zum Außerordentlichen Internationalen Sozialistenkongreß
in Basel am 24. und 25. November 1912 reisten zwei sozialdemokratische Delegationen aus Polen an. Rosa Luxemburgs und Julian
Marchlewskis Proteste beim Sekretär des Internationalen Sozialistischen Büros hatten Erfolg: die Namen der Vertreter des Warschauer
Komitees wurden im Bericht über den Baseler Kongreß nicht genannt. Als die russische Sektion daraufhin die Ausgegrenzten ihrer
Delegation zuordnete, protestierte Rosa Luxemburg wiederum. 221
|408| Ihre erbitterte Intoleranz gegenüber der Parteiopposition in Warschau hielt lange an und spiegelt sich 1913 noch einmal drastisch
wider in ihrem Protest an die Redaktion des »Sozial-Demokraten« in Kopenhagen wegen der Sammlungen für den Textilarbeiterstreik
in Russisch-Polen, die von den ausgeschlossenen »Spaltern« initiiert worden waren. Die Sprache der Rosa Luxemburg war in
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