Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Kennzeichen des Imperialismus als des letzten Konkurrenzkampfes um die kapitalistische Weltherrschaft ist nicht bloß die
besondere Energie und Allseitigkeit der Expansion, sondern – dies das spezifische Anzeichen, daß der Kreis der Entwicklung
sich zu schließen beginnt – das Zurückschlagen des Entscheidungskampfes um die Expansion aus den Gebieten, die ihr Objekt
darstellen, in ihre Ursprungsländer. |418| Der Imperialismus führt damit die Katastrophe als Daseinsform aus der Peripherie der kapitalistischen Entwicklung nach ihrem
Ausgangspunkt zurück. Nachdem die Expansion des Kapitals vier Jahrhunderte lang die Existenz und die Kultur aller nichtkapitalistischen
Staaten in Asien, Afrika, Amerika und Australien unaufhörlichen Konvulsionen und dem massenhaften Untergang preisgegeben hatte,
stürzt sie jetzt die Kulturvölker Europas selbst in eine Serie von Katastrophen, deren Schlußergebnis nur der Untergang der
Kultur oder der Übergang zur sozialistischen Produktionsweise sein kann. Im Lichte dieser Auffassung gesehen, gestaltet sich
die Stellung des Proletariats gegenüber dem Imperialismus zur Generalauseinanderstzung mit der Kapitalsherrschaft. Die taktische
Richtschnur seines Verhaltens ist gegeben durch jene geschichtliche Alternative.« 252
Rosa Luxemburg subsumierte ihre Auffassungen wie die meisten Theoretiker der deutschen Sozialdemokratie unter dem Begriff
des »Zusammenbruchs«, doch huldigte sie im Unterschied zum vorherrschenden Fatalismus weder dem ökonomischen Determinismus
noch einem subjektives Handeln ausschließenden bzw. unterbewertenden Objektivismus. Daß nach Zerstörung und Assimilation aller
vor- und nichtkapitalistischen Produktionsweisen keine Akkumulation mehr möglich sei, bleibe eine reine Konstruktion, denn
vorher müsse und werde die Arbeiterklasse um die revolutionäre Veränderung der Verhältnisse kämpfen. »Hier wie sonst in der
Geschichte tut die Theorie ihren vollen Dienst, wenn sie uns die
Tendenz
der Entwicklung zeigt, den logischen Schlußpunkt, auf den sie objektiv hinsteuert«, schrieb sie in Erwiderung auf die Einwände
der Rezensenten. Dieser Schlußpunkt »kann sowenig erreicht werden, wie irgendeine frühere Periode der geschichtlichen Entwicklung
bis zu ihrer letzten Konsequenz sich abwickeln konnte. Er
braucht
um so weniger erreicht werden, je mehr das gesellschaftliche Bewußtsein, diesmal im sozialistischen Proletariat verkörpert,
als aktiver Faktor in das blinde Spiel der Kräfte eingreift. Und für dieses Bewußtsein bietet die richtige Auffassung der
Marxschen Theorie auch in diesem Falle die befruchtendsten Anregungen und den kräftigsten Ansporn.« 253 Den Massen zu einem solchen Bewußtsein zu verhelfen war für Rosa Luxemburg eine vordringliche Aufgabe |419| sozialdemokratischer Parteien. Diese könnten zwar keine revolutionäre Situation initiieren, solange die objektiven Gegebenheiten
fehlten, aber sie liefen Gefahr, eine Gelegenheit dazu zu verpassen, der Verschärfung des Klassenkampfes geflissentlich aus
dem Wege zu gehen und die Massen für längere Zeit apathisch zu machen. 254 Da Rosa Luxemburg den Parteien der Arbeiterklasse eine so einflußreiche Rolle zuschrieb und selbst dementsprechend handelte,
ist es unredlich, ihr eine Theorie des automatischen Zusammenbruchs des Kapitalismus zu unterstellen.
»Sicher hängt die Taktik und das praktische Verhalten im Kampfe nicht unmittelbar davon ab«, meinte sie, »ob man den zweiten
Band des Marxschen ›Kapitals‹ als abgeschlossenes Werk oder bloßes Fragment betrachtet, ob man an die Möglichkeit der Akkumulation
in einer ›isolierten‹ kapitalistischen Gesellschaft glaubt oder nicht, ob man die Marxschen Schemata der Reproduktion so oder
anders auffaßt. Tausende Proletarier sind brave und feste Kämpfer für die Ziele des Sozialismus, ohne von diesen theoretischen
Problemen etwas zu wissen – auf Grund der allgemeinen grundsätzlichen Erkenntnisse des Klassenkampfes und auf Grund eines
unbestechlichen Klasseninstinkts sowie revolutionärer Traditionen der Bewegung. Aber zwischen dem Erfassen, der Art der Behandlung
theoretischer Probleme und der Praxis politischer Parteien besteht auf größeren Strecken stets der engste Zusammenhang.« 255
Aber auch Linke beurteilten die theoretische Substanz und methodische Problematik von Rosa Luxemburgs Buch verschieden. Während
Franz Mehring und Julian Marchlewski die Autorin in der
Weitere Kostenlose Bücher