Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Wir erledigen den Fall juristisch, aber nicht politisch.
Haben Sie vielleicht gehört, daß auch nur einer von den Sündern aus Furcht vor der Strafe die Flucht ergriffen hat? Glauben
Sie, daß diese Unmenge von Strafen auch nur einen Sozialdemokraten zum Wanken gebracht oder in seiner Pflichterfüllung erschüttert
hat? Ach nein, unser Werk spottet aller Zwirnsfäden Ihrer Strafparagraphen, es wächst und gedeiht trotz aller Staatsanwälte!
[…] Herr Staatsanwalt, ich glaube Ihnen,
Sie
würden fliehen. Ein Sozialdemokrat flieht nicht. Er steht zu seinen Taten und lacht Ihrer Strafen. Und nun verurteilen Sie
mich!« 25
Durch diese Rede hob Rosa Luxemburg den Prozeß über profane juristische Silbenstecherei und alltägliches Raufen um trockenes
Paragraphenwerk empor. Nach zweistündiger Beratung verurteilte die 1. Strafkammer des Königlichen Landgerichts in Frankfurt
(Main) »Im Namen des Königs« Rosa Luxemburg am 20. Februar 1914 wegen zweier Vergehen gegen § 110 des Strafgesetzbuches zu
einer Gefängnisstrafe von einem Jahr. Außerdem sollte sie die Kosten des Verfahrens tragen. 26 Clara Zetkin charakterisierte den politischen Tendenzprozeß mitsamt seinem Ausgang als einen »jener Pfeile, die dem Schützen
verhängnisvoll werden, der sie entsendet« 27 .
Gegen das Urteil legten die Verteidiger sofort Revision ein; wie nicht anders zu erwarten, wurde dieser Antrag vom Reichsgericht
in Leipzig verworfen – allerdings erst acht Monate später, am 22. Oktober 1914. 28
Das ungewöhnliche Strafmaß von insgesamt 14 Monaten (für die Fechenheimer Rede sechs und für den Bockenheim-Auftritt acht
Monate) für einen Bekenntnissatz zum Frieden richtete sich de facto nicht nur gegen die antimilitaristische »Hetze« oder zu
befürchtende gewaltsame Taten gegen die Obrigkeit und militärische Befehlsgewalt von aufgeputschten Soldaten. Man wollte Rosa
Luxemburg der Öffentlichkeit im In- und Ausland entziehen.
Die Presse erhöhte die Publizität, da die Meinungen selbst in bürgerlichen Blättern auseinandergingen. »Recht so!« tönte es
am 21. Februar 1914 in der konservativen »Post«: »Die Verurteilung der gewerbsmäßigen Hetzerin Rosa Luxemburg zu |445| einem Jahr Gefängnis wird weiteste Kreise des deutschen Volkes mit Genugtuung erfüllen. Wenn der ›Vorwärts‹ das Urteil als
›juristisches Unikum‹ bezeichnet und ihm politische Tendenzen unterschiebt, so bedeutet dieser dreiste Angriff auf das Richterkollegium
nur einen neuen Versuch, aus der Niederlage, die hier das sozialdemokratische Agitatorentum erlitten hat, Kapital zu schlagen.« 29 Das Blatt schmähte Rosa Luxemburg in übelster Weise, kam aber nicht umhin, ihr als Rednerin große Ausstrahlungskraft zu bescheinigen.
Wer diese kleine fanatische Person schon einmal in ihrem Element gesehen habe, »wer vor allem die Wirkung ihrer aufgeregten Rede beobachtet hat, der muß sich darüber wundern, daß sie nicht früher ihr Schicksal erreicht hat« 30 . Auch die »Parole«, die Zeitung des Deutschen Kriegerbundes, vom 1. März 1914 war zufrieden, weil Rosa Luxemburg sich in
den Maschen des Strafgesetzes verfangen habe.
Für die »Frankfurter Zeitung« vom 21. Februar 1914 stand fest: »Den Urhebern der Anzeige kam es gewiß weniger darauf an, Militärverhetzung
aufzudecken, als auf die Verfolgung einer bestimmten politischen Gesinnung, die sie verhindern mußte, weil sie mit ihrer Vorstellung
von kriegerischem Sinn nicht vereinbar ist. […] Der Prozeß wird natürlich mit allen Mitteln demagogischer Politik gegen die
Sozialdemokratie ausgenützt werden.«
Des Pöbels Gesinnung dürfte sich in den Zeilen spiegeln, die ein in Chicago lebender Deutscher am 14. April 1914 an den Justizminister
sandte: »Solche Urteile wie das in Frankfurt gefällte sind m. E. schwere Fehler . Sie sollten die übereifrigen Staatsanwälte ein wenig ›tuschen‹ […] Keinesfalls würde ich an Ihrer Stelle, Herr Justizminister,
dulden, daß man aus dem gehirnkranken Weib R. L. eine Märtyrerin ihrer Ideen konstruiert. Bloße Worte, seien sie noch so dämlicher
Art (abgesehen von böswilligen Beleidigungen) rechtfertigen unter keinen Umständen eine Freiheitsentziehung von einem Jahr.
Das sozialdemokratische Geschwätz darf nicht so ernst genommen werden, daß man die männlichen und weiblichen roten Hanswürste
ins Gefängnis wirft. Lassen Sie, geehrter Herr die exaltierte, verschrobene, verrückte Rosa Luxemburg
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