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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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waren, daß sie gleich uns den Verrat am deutschen Proletariat nicht mitmachen würden, zu einer Besprechung
     zusammenzurufen, über 300 Telegramme trug ich am nächsten Tag zur Post. Das Resultat war katastrophal. Clara Zetkin war die
     einzige, die sofort und uneingeschränkt ihre Zustimmung sandte. Die wenigen anderen, die überhaupt antworteten, gebrauchten
     dumme und faule Ausreden. Der Kriegskoller hatte sie alle gepackt. Wir beschlossen, in der Partei zu bleiben und den Kampf
     gegen den Krieg in der Organisation zu führen und zu organisieren.« 86
    Während der ersten Kriegstage ergriff Rosa Luxemburg Weltuntergangsstimmung. Sie quälte, daß sie Briefen wegen |468| der Zensur nicht mehr alle ihre Gedanken anvertrauen durfte und so engen Vertrauten wie Paul Levi in Frankfurt (Main) oder
     den Zetkins in Stuttgart vorläufig nicht begegnen konnte. Die Abschiedsszenen mit den Einberufenen – mit Hans Diefenbach,
     Maxim Zetkin und etwas später mit Kurt Rosenfeld – schnürten ihr fast die Kehle zu. Wann würde es Kostja Zetkin treffen, wann
     Paul Levi und die vielen anderen Bekannten? Jede Mitteilung freute sie, die ihr zeigte, daß sie noch nicht zum Kriegsdienst
     beordert waren. Als sie von Hans Diefenbach die erste Karte von seinem neuen Standort erhielt, bedankte sie sich herzlich
     und berichtete ihm, teils zum Trost und teils aus Sorge, daß Berlin immer leerer werde, man sehe bald nur noch Greise, Kinder
     und »uns schönes Geschlecht« 87 .
    »Schrecklich wirkte die Tatsache des Kriegsausbruchs auf Rosa«, notierte Luise Kautsky, »noch schrecklicher die Haltung der
     deutschen Sozialdemokratie, die sie fast dem Wahnsinn, ja, eingestandenermaßen dem Selbstmord nahebrachte. Die Bewilligung
     der Kriegskredite durch die Sozialdemokratie im Deutschen Reichstag war für sie ein Signal, sich von den früheren Genossen,
     denen sie innerlich schon längst entfremdet war, nun endgültig loszusagen und mit einem Häuflein von engeren Gesinnungsgenossen
     ihre unterirdische Aufklärungsarbeit in der deutschen Arbeiterschaft zu beginnen …« 88 Einen festen Halt gab ihr dafür erneut Leo Jogiches: mit seinen konspirativen Fähigkeiten, seiner mannhaften Geistesgegenwart
     und seiner Willensstärke war er wie für die Situation geschaffen.
    Ende August resümierte Rosa Luxemburg, man könne alles aufgeben, aber nicht die Ehre. »Wenn Sie sagen:«, schrieb sie um den
     31. August an Troelstra, »Es war für uns zu früh, die Gegner haben den Moment gewählt, wo wir nicht reif waren, so weiß ich,
     daß man sich die Reife zum Kampf um das Teuerste nicht anders als im Kampf erwirbt. Und es gibt Lagen, es gibt Momente, wo
     Privatmensch wie Politiker wie Völker sich sagen müssen wie die Franzosen: tout est perdu, sauf l’honneur! Die Ehre ist und
     bleibt das Höchste und das einzige sichere Unterpfand der Zukunft für Menschen und für Völker, das ist meine tiefste Überzeugung.« 89

|469| Getan und versucht werden muß, was menschenmöglich
    Die Suche nach Mitstreitern konzentrierte Rosa Luxemburg zuerst auf die Abgeordneten, die in den Fraktionssitzungen gegen
     die Bewilligung aufgetreten waren, und auf ihr persönlich bekannte zuverlässige Sozialdemokraten. Wie schwer es war, die wenigen
     Oppositionellen zu wirkungsvollen gemeinsamen Aktionen zu führen, mußten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erfahren, als
     der Reichsabgeordnete den Berliner Zentralvorstand zur Abhaltung von Protestversammlungen aufforderte. »Falls sie abgelehnt
     wurden, plante ich, Ledebour, Lensch und Rosa Luxemburg dafür zu gewinnen, daß wir 4 auf eigne Faust, über den Kopf des Zentralvorstands,
     unter unseren Namen Protestversammlungen einberufen. Noch ehe mein Antrag an den Zentralvorstand entschieden war, traf ich
     zufällig Lensch im ›Vorwärts‹ und schlug ihm eine Zusammenkunft vor. Er teilte mir mit, daß Rosa Luxemburg ihn und Ledebour
     gerade für diesen Abend zu sich gebeten habe; ich möchte dorthin kommen. Mit Rosa hatte ich leider bis dahin noch keine nähere
     Fühlung. Ich befolgte Lenschs Vorschlag und – blieb mit Rosa allein, weder Lensch noch Ledebour erschienen! Wir beide beschlossen,
     zum nächsten Tag (Sonntag) Lensch und Ledebour in meine Wohnung zu bestellen. Bei dieser Zusammenkunft zeigte sich Ledebour
     bereits sehr zurückhaltend und empfindlich. Meinen Vorschlag wegen der Versammlungen wies er energisch zurück: über meinen
     Antrag beim Berliner Zentralvorstand war er

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