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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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und Hans Diefenbach zu den
     Adressaten der erhalten gebliebenen Briefe aus Wronke. Mathilde Jacob und Marta Rosenbaum sorgten für ihr leibliches Wohl,
     die Verbindung zu anderen Freunden und zu den Rechtsanwälten Dr. Siegfried Weinberg und Dr. Albert Pinner, für ärztliche Betreuung,
     Arbeitsmaterialien, Bücheraustausch und vieles andere mehr. Rosa Luxemburg erkundigte sich stets nach ihrem persönlichen Wohl
     und dem ihrer Familienangehörigen sowie nach Fauna und Flora und tauschte sich mit ihnen über Lektüre aus.
    In dieser Zeit schien es Rosa Luxemburg am schwersten zu fallen, Clara Zetkin beizustehen, deren Gesundheit angegriffen war,
     die sich um ihre beiden Söhne sorgte, mit ihr und Franz Mehring wegen der Zeitschrift »Die Internationale« vom Düsseldorfer
     Landgericht drangsaliert wurde und der im Mai 1917 der Parteivorstand die Redaktion der »Gleichheit« entzog. Das alles aber
     schien Clara Zetkin letztendlich besser bewältigen zu können als ihre Ehe- und Familienkrise. Rosa Luxemburg verriet Hans
     Diefenbach im Vertrauen, daß sie das Drama in Sillenbuch schwer belaste. Ihr Mitleid und ihre Freundschaft hätten eine bestimmte
     Grenze: »Sie enden haarscharf dort, wo die Gemeinheit beginnt. Meine Freunde müssen nämlich ihre Rechnungen in sauberer Ordnung
     haben, und zwar nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten und privatesten Leben. Aber öffentlich große Worte für
     ›Freiheit des Individuums‹ donnern und im Privatleben eine Menschenseele aus wahnsinniger Leidenschaft versklaven – ich begreife
     das nicht und verzeihe es nicht. Ich vermisse bei alledem die |554| zwei Grundelemente der weiblichen Natur: Güte und Stolz. Herr Gott, wenn ich nur von Ferne ahne, daß mich jemand nicht mag,
     dann flüchtet schon mein Gedanke seine Kreise wie ein verscheuchter Vogel, es scheint mir dann schon vermessen, ihn mit dem
     Blick zu streifen! Wie kann man, wie kann man sich bloß so preisgeben?« 155
    Die Beziehung zwischen Hans Diefenbach und Rosa Luxemburg vertiefte sich mit jedem Brief. Der inzwischen dreißigjährige Arzt,
     der als einer der ersten aus ihrem Freundeskreis zum Militärdienst eingezogen worden war, wurde von Rosa Luxemburg zum Geliebten
     erkoren. Hans Diefenbach hatte seine Mutter früh verloren und war in der Obhut seines literarisch gebildeten Vaters aufgewachsen.
     Von Kind an war er in Bücher vernarrt. In München hatte er in der Ärztin Hope Bridges Adams-Lehmann eine mütterliche Freundin
     besessen, die im Oktober 1916 gestorben war. Rosa Luxemburg war ihm seit Jahren eine sehr vertraute Freundin. Sie hielt ihn
     für einen Menschen, der außerstande sei, »auch nur in Gedanken eine Gemeinheit zu begehen«, »über das Glück und den Frieden
     anderer Menschen wie ein Panther dahin[zu]stürmen«. 156 Sie war verliebt in sein »semmelblondes Temperament« und seine »ewig kühlen Hände«, bewunderte seine Menschlichkeit und Sensibilität,
     genoß die Zuneigung, die er ihr entgegenbrachte, sowie den anregenden Gedankenaustausch über Literatur und Kunst, Natur und
     Gesellschaft mit ihm. Während Hans Diefenbach in Posen als Militärarzt stationiert war, hoffte sie besonders sehnsüchtig auf
     seinen Besuch, doch er erhielt die Genehmigung der Kommandantur nicht rechtzeitig.
    Rosa Luxemburgs Briefe an Hans Diefenbach sind Spiegel ihrer Seele und der Auseinandersetzung mit sich selbst. Viele freud-
     und leidvolle Erfahrungen werden darin resümiert. Sie zeugen von Rosa Luxemburgs Zerrissenheit zwischen kämpferischem Fatalismus
     und tiefer Depression. Sie erzählte ihm, wie sie die »Freiheit«, sich in Wronke am Tage im Freien bewegen zu dürfen, gesunde
     Luft atmen und den Himmel sehen zu können, nutzte, und gestand ihm gleich darauf: »Mitten in meinem mühsam aufgebauten schönen
     Gleichgewicht packte mich gestern vor dem Einschlafen wieder eine Verzweiflung, |555| die viel schwärzer war als die Nacht. Und heute ist auch noch ein grauer Tag, statt Sonne – kalter Ostwind … Ich fühle mich
     wie eine erfrorene Hummel; haben Sie schon mal im Garten an den ersten frostigen Herbsmorgen eine solche Hummel gefunden,
     wie sie ganz klamm, wie tot, auf dem Rücken liegt im Gras, die Beinchen eingezogen und das Pelzlein mit Reif bedeckt? […]
     Es war immer mein Geschäft, an solchen erfrorenen Hummeln niederzuknien und sie mit dem warmen Atem meines Mundes zum Leben
     zu wecken. Wenn mich Arme doch die Sonne auch schon aus meiner Todeskälte

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