Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
erwecken wollte! Einstweilen fechte ich wider die
Teufel in meinem Innern wie Luther – mit dem Tintenfaß. Und deshalb müssen Sie als Opfer einem Sperrfeuer von Briefen standhalten.
Bis Sie Ihr großes Geschütz geladen haben, überschütte ich Sie mit meinem kleinkalibrigen, daß Ihnen angst und bange wird.« 157
Niemand habe Hans Diefenbach so gut gekannt wie sie, sagte sie zu Luise Kautsky. »Alle Menschen aus unserem Kreise hat er
an innerer Vornehmheit, an Güte, an Reinheit übertroffen. Nie und nimmer hätte er eine Gemeinheit begehen können, er war aus
dem reinsten, besten Stoff, aus dem Menschen gemacht werden. Soweit er eine Schwäche hatte, bestand sie nur darin, daß er
für den brutalen Lebenskampf nicht genug ausgerüstet war, so daß ich ihm immer helfen wollte, diese innere Angst vor der grausamen
Realität des Lebens möglichst zu überwinden.« 158
In den Jahren ihrer Gefangenschaft kultivierte Rosa Luxemburg das Briefschreiben – sowohl als literarisches Genre als auch
als ein Instrument, sich selbst und anderen Halt und Zuversicht zu geben.
Walter Jens hat Rosa Luxemburgs Briefwelt besonders anregend erkundet und treffend chakterisiert: »Sprechen zu können, wo
andere verstummen; geheimste Seelenregungen, Motionen der Gedanken, das Sich-Bilden von Gefühlen und die Entstehung von kaum
wahrnehmbaren Sympathien mit Menschen, Dingen, Tieren dank einer Akribie dargestellt zu haben, wie sie sich sonst nur in der
frühexpressionistischen Prosa, beim jungen Rilke und dem Musil des ›Törless‹ nachweisen läßt. […] Ich denke, es gibt wenige
Briefschreiber in der Geschichte der Weltliteratur, bei denen wie im Falle Rosa Luxemburgs |556| ein Maximum an Ich-Analyse identisch ist mit einem Höchstmaß an verläßlicher Erkundung jener äußeren Welt, deren soziale,
durch die Herrschaft einer winzigen Minorität bedingte Misere die Gefangene der Strafanstalt Wronke auf den Begriff gebracht
hat, als sie das Leiden eines rumänischen Büffels beschrieb, den ein Soldat mit dem dicken Ende eines Peitschenstiels malträtierte,
um hernach, zur Rede gestellt, zu antworten: ›Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid.‹« 159 Der Widerlegung dieses Diktums galten Rosa Luxemburgs Leben und Arbeit.
Aufregung brachten ihr in Wronke von Zeit zu Zeit außerdem einige Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, die gegen sie angestrengt
wurden. Zum ersten war sie seit Mai 1915 als Mitherausgeberin der Zeitschrift »Die Internationale« angeklagt. Zum zweiten
wurde sie zusammen mit dem Versammlungsleiter Johannes Scheib auf der Grundlage des Gesetzes über den Belagerungszustand wegen
der nicht »ordnungsgemäß« angemeldeten Versammlung am 6. Juli 1916 in Leipzig zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt, und drittens
hatte sie eine zehntägige Haftstrafe wegen Beamtenbeleidigung während der Sprechstunde am 22. September 1916 in der Barnimstraße
abzusitzen. In diesem Zusammenhang galt es immer wieder, Termine abzublocken, Revision einzulegen, die Anwälte zu instruieren,
Freunde zu informieren, zu befragen und zu beruhigen.
Je länger Rosa Luxemburg inhaftiert war, desto stärker litt sie unter dem Alleinsein und den politischen Verfolgungen. Sie
ertappte sich häufiger dabei, zu sehr in sich zu gehen. »Du hast meine starke Sensibilität jetzt mit richtigem Verständnis
herausgefühlt«, schrieb sie an Luise Kautsky, »hab’ Dank dafür. Ich bin in der Tat ein wenig wie ein Mensch ohne Haut geworden:
Ich erschauere vor jedem Schatten, der auf mich fällt. Es scheint, daß das Jahr Barnimstraße und dann die vier Monate rasende
Arbeit und nun wieder sieben Monate Einsamkeit auf verschiedenen Etappen nicht spurlos vorübergegangen sind.« 160 Doch sie zwang sich, ihre Gedanken auf das Kommende zu richten, auf den Frühling, die prächtige Natur, die sich dann in ihrem
Garten entfalten würde, und die Aussicht, ihr Herbarium komplettieren zu können. »Je länger ich |557| lebe, um so bewußter und tiefer erlebe ich jedes Jahr das Wunder des Frühlings, dann des Sommers, dann des Herbstes. Jeder
Tag ist mir ein herrliches Wunder, und ich bedaure nur, nicht Zeit und Muße genug zu haben, um sich der Betrachtung ganz hinzugeben.
Das heißt, seit zwei Jahren habe ich ja Zeit und Muße genug, aber dann sehe ich ja nur so wenig von all den Herrlichkeiten.
Aber so frei draußen im Feld schlendern oder auch nur in den Straßen im April – Mai vor jedem Vorgärtchen
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