Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Degeneration, Epidemien.« Auf den linken
Rand ist vermerkt: »Nach jedem früheren Kriege begann der wirtsch. Aufschwung. Das – mal anders!« Im Text heißt es weiter:
»Die kapitalistische Anarchie ist nicht imstande damit fertig zu werden. Sie würde in kürzester Zeit zur Anarchie u. allgem.
Untergang führen. Die ›Staatswirtschaft‹ hat sich im Kriege gezeigt: 1) Verewigung des Belagerungszustands 2) Klassische Nährkultur
für Schleichhandel u. Lebensmittelwucher 3) Aushungerung der Masse. Einzig u. allein großzügige radikale gesellsch. Maßnahmen
auf größtem Maßstab, ohne vor Privateigentum, Profitinteresse Halt zu machen, ohne vor ›nationalen‹ Grenzen Halt zu machen,
können die Gesellsch. retten.
Inangriffnahme bisher ungenutzter Bodenstrecken, äußerste Steigerung der landwirtsch. Produktivität, durch Beseitigung des
Großgrundbes., Heranziehung der Arbeitsfähigen zur produktiven Arbeit, Überführung in allgemeine Nutzung der großen Privatforsten,
Jagdgründe und Ländereien der Dynastien, Kirchen u. Klöster. Einführung des genossenschaftlichen Betriebes in der bäuerlichen
Produktion. Sofortige gründliche Umgestaltung der Arbeitsbedingungen, um die Ausnützung |582| der weiblichen Arbeitskräfte ohne Schädigung ihrer Gesundheit möglich zu machen u. der verminderten Leistungsfähigkeit der
vom Kriege übriggebliebenen männlichen Kräfte Rechnung zu tragen. Wohnungsreform (wegen Epidemien!), die einen gänzlichen
Umbau der Städte, eine Vereinigung der Stadt u. Landwirtschaft nötig macht! Vergesellschaftung des Sanitätswesens bei drohenden
Epidemien! Abschaffung der Luxusproduktion u. der Rüstungsproduktion.
2. Finanzproblem. Alle Staaten kommen mit einer nie erhörten Schuldenlast aus dem Kriege heraus – die Sieger wie die Besiegten,
kriegführende wie neutrale. Das Finanz- u. Rüstungskapital, das Bankkapital hat den kap. Staat in der Tasche, in Dlnd. das
einheimische, in Fr., in Engl. das ausländische. Was mit dieser Schuldenlast wird? Besteuerung der Massen? Sie können nicht
– Besteuerung des Kapitals? Dazu wird sich nie der kap. Staat aufraffen. In England nur ein – Teil, aber dafür Entschädigung
in Indien etc. Diese öffentl. Schuld wird von nun an alle Einkünfte fressen. Und der Wiederaufbau der Wirtschaft? Gerade jetzt,
wo die größten Aufgaben dem Staate bevorstehen. Dazu Versorgung der Kriegsinval., der Witwen und Waisen! Annullierung der
Schuld erste Vorbedingung für den Weiterbestand der Staaten, aber gerade dieser eine Ausweg unmöglich.
3. Nationalitätenproblem. Mit wann beginnt die Restituierung des Rechts? Mit 1871? Aber Polen geht dann auf 1772 zurück! Wie
dann mit Irland? Mit Indien? Mit den Philippinen? Mit den chinesischen ›Pachtungen‹? Mit Algier u. Tunesien? Mit dem ganzen
Kolonialproblem? Ferner: wie die Nationalitäten miteinander aussöhnen? Was wird mit China u. Persien, wird man sie nun in
Ruhe lassen? Und die Neger in den V. Staaten?
4. Friedensproblem, Abrüstung. Rüstungskapital gerade das mächtigste im Kriege geworden. Der ganze im Krieg vergeudete Reichtum
ist dort akkumuliert worden! England u. Amerika haben sich erst den Milit. geschaffen. Japan als Lieferant enorm gewachsen.
Technik des Militarismus verträgt jetzt keinen ›Kleinbetrieb‹. ›Ein bißchen Militarismus‹ ist ebenso [un?]möglich wie ›ein
bißchen Anarchie‹ in der Produktion. Dasselbe Rüstungskapital ist jetzt (direkt u. durch die Banken) |583| der Hauptgläubiger des Staates. Auch politisch ist Militarismus jetzt Trumpf, gerade in den Ver. Staaten, in Wilsons Hause.
Aufteilung der Türkei. Aufteilung der deutschen Kolonien. Abfindung Japans. Gewaltige Verschiebung der Machtverh. Neue Konkurrenzen:
Engl. u. Amer., Engl., Amer. u. Japan.
Aus alledem nur ein Ausweg: Sozialismus!
Es ist wie ein Bergrutsch, unaufhaltsam, ein Felsblock reißt den anderen mit. Das alte Europa bebt in seinen Fugen u. kracht
zusammen, mit ihm die alte bürg. Welt. Nichts kann davon übrigbleiben als Schutt. Und aus diesem Schutt kann nichts hervorgehen
als – die soz. Ges.
Ost u. West u. Nord erzittern, Reiche bersten, Throne splittern …«
Verächtlich und verbittert notierte und strich sie wieder zum »Friedensproblem«: »Die neuen nationalen Staaten (K. K’s Theorie:
Nat.-Demokratie). Was hinter dieser ›Demokratie‹ als Pferdefuß steckt, hat die Ukraine, Finnland, Baltenländer, Polen gezeigt.
Diesen
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