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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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uns, wie Heine meint, es graut uns vor ihrer Verdeutschung
     in unserer Parteipraxis. Mögen sie für uns lieber Fremdwörter bleiben, und mögen die Genossen sich vor der Rolle des Dolmetschers
     im gegebenen Falle hüten.« 68
    Nun wetterte dieser Wolfgang Heine, allgemeine Behauptungen von der Verschleierung der Ziele grenzten an Verdächtigungen,
     und im übrigen erklärten sich die Divergenzen in der Betonung des Endziels aus Temperamentsunterschieden. Genau wie Engels
     polemisiere er gegen utopische Spielereien und zur Phrase heruntergekommene Zukunftsprophezeiungen. Die Erörterung konkreter
     Tagesforderungen dagegen wirke nie langweilig. Er wende sich gegen die absurde Behauptung, »daß die gefährlichen Äußerungen
     von Bernstein und Heine die Wähler lau gemacht hätten«. 69
    Fritz Zubeil widersprach, August Bebel mahnte an, im Streit über ein Zuviel oder Zuwenig an Zukunftsstaatspolitik immer ganz
     konkret zu argumentieren. Natürlich müsse für das Programm in seiner Ganzheit agitiert werden. Auf Detailmalerei der künftigen
     Gesellschaft sollte zwar verzichtet werden, doch Peus’ Vorschlag gehe zu weit, denn »eine Partei, die kämpft, eine Partei,
     die bestimmte Ziele erreichen will, die muß auch ein Endziel haben. (Lebhafter Beifall) Mit dem Standpunkt von Peus kommt
     man dahin, wohin er tatsächlich schon in seinem Blatt gelangt ist, nämlich dazu, es sei praktisch, daß wir den ersten Teil
     des Programms einfach abschaffen und dafür den zweiten ausführlicher ausgestalten. (Hört! Hört!) Da sage ich aber, dann hören
     wir auch auf Sozialdemokraten zu sein.« 70 Stadthagen bat noch einmal ums Wort, um ganz klar zu sagen, daß eine phantastische Ausmalung des Zukunftsstaates nichts mit
     der Betonung des Endziels, der Sozialisierung der Gesellschaft, zu tun habe, das naturnotwendig aus der Entwicklung der Gesellschaft
     erwachse und wirklich mehr im Vordergrund stehen müsse. »Sonst kann uns mit Recht gesagt werden: Ihr seid National-Soziale,
     Ihr seid Christlich-Soziale, Ihr seid Sozial-Liberale, aber bei Leibe keine Sozialdemokraten.« 71
    Diese Art von Polemik mit Blick auf das Wesentliche gefiel Rosa Luxemburg. Sie fand sie besonders in Clara Zetkins Rede |102| gelungen, die klarstellte, daß die Betonung des Endziels keine Sache des Temperaments, sondern eine Frage der wissenschaftlichen
     Erkenntnis und der politischen Überzeugung sei. Clara Zetkin charakterisierte Heines Kompensationspolitik »Kanonen für Volksrecht«
     als Schacherpolitik mit dem kapitalistischen Staat. Sie könne es einfach nicht hinnehmen, wenn Heine auf einem so wichtigen
     Gebiet wie dem Antimilitarismus das Muster der französischen Possibilisten empfehle. Bekanntlich war deren Devise, »die sozialistischen
     Forderungen in so kleine Dosen zu teilen, daß sie Jedem annehmbar sein können«. In Deutschland etwa von Herrn v. Stumm oder
     vom Kaiser? Daß die Partei durch solche abweichenden Meinungen »versumpft« werde, sei bedenklich. 72
    Bruno Schoenlank meinte, Clara Zetkins Ausführungen voll unterschreiben zu können, warnte aber davor, die Minderheit durch
     die Mehrheit zu majorisieren und zu terrorisieren. 73
    Nachdem ein Antrag auf Schluß der Taktikdebatte abgelehnt worden war, erhielt Rosa Luxemburg das erste Mal die Gelegenheit,
     auf einem Parteitag der deutschen Sozialdemokratie zu sprechen. Marie Geck erinnerte sich später an diesen Augenblick: »An
     einer Seitensäule lehnt ein junges Weib, eine gebrechliche, kleine Gestalt. Das kurzgeschorene schwarze Haar ist glatt zurückgestrichen.
     Unscheinbar mußte das Weiblein nach seinem Äußeren wirken, sprächen aus dem durchgeistigten Gesichte nicht ein Paar wundervolle
     Augen, die einen gefangen nehmen. […] Immer blitzender werden die Augen, manchmal fährt der Stift über das Papier in der Hand,
     immer mehr beugt sich das kleine Persönchen vor, fast meinte man, es wüchse, während Heines Rede. Meine Umgebung vermag mir
     keinen Aufschluß zu geben, wer das Mädchen aus der Fremde sei, immer aber zieht’s mich an, sie zu schauen und zu beobachten.
     Endlich, die Lichter leuchten schon an der Decke: ›Das Wort hat die Genossin Rosa Luxemburg‹. Ach, das ist die Mitstreiterin
     von Parvus, mit der verflucht spitzen, aber auch so unerbittlich konsequenten Feder. Da steht meine Unbekannte auch schon
     oben am Rednerpult. Mitleid überkommt mich; wie will das hilflose Menschenkind da oben durchdringen!? – Und es dringt durch!
    

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