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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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In etwas süffisantem Ton, man hört einen Unterton des Bewußtseins der geistigen Überlegenheit |103| über die Mehrzahl der Massen zu ihren Füßen heraus; fast etwas Widerspruch herausforderndes hatte dieser Ton. Aber wie fesselte
     sie den Parteitag und wie zwang ihre Logik.« 74
    Rosa Luxemburg setzte die Polemik von Clara Zetkin und anderen Rednern gegen Wolfgang Heine fort. »Ich behaupte […], daß für
     uns als revolutionäre, als proletarische Partei keine praktischere Frage existiert als die vom Endziel. […] Nur das Endziel
     ist es, welches den Geist und den Inhalt unseres sozialistischen Kampfes ausmacht, ihn zum Klassenkampf macht. Und zwar müssen
     wir unter Endziel nicht verstehen, wie Heine gesagt hat, diese oder jene Vorstellung vom Zukunftsstaat, sondern das, was einer
     Zukunftsgesellschaft vorangehen muß, nämlich die Eroberung der politischen Macht.« 75 Die Sozialdemokratie könne sich als sozialistische Partei nur behaupten, wenn sie ihren Kampf um Reformen unter dem Blickpunkt
     der Eroberung der politischen Macht der Arbeiterklasse zu führen verstehe. »Klipp und klar müssen wir sagen, wie der alte
     Cato: Im übrigen bin ich der Meinung, daß dieser Staat zerstört werden muß. Die Eroberung der politischen Macht bleibt das
     Endziel, und das Endziel bleibt die Seele des Kampfes.« 76 Damit erinnerte Rosa Luxemburg an Marx’ und Engels’ Folgerung aus den Erfahrungen der Pariser Kommune 1871.
    Anhänger Bernsteins und ausschließlich auf Reformen orientierte Praktiker fühlten sich durch Rosa Luxemburg getroffen und
     beleidigt. Sie warfen ihr vor, »wie eine Göttin aus den Wolken […] mit bestechenden Phrasen« 77 um sich zu werfen. Karl Frohme meinte, Rosa Luxemburg und Parvus hätten nur »ein bißchen Brillantfeuerwerk« gemacht. »Mögen
     die Beiden hinter den grünen Tischen bleiben und wissenschaftliche Prinzipien erörtern und klären. Uns aber, die wir den Kampf
     zu führen haben und die Verantwortung zu tragen haben, vor Mit- und Nachwelt, uns überlassen Sie die Feststellung der Taktik!« 78
    Als am Nachmittag des 4. Oktober Probleme der Pressearbeit diskutiert wurden, meldete sich Rosa Luxemburg erneut zu Wort:
     »Vollmar hat es mir zum bitteren Vorwurf gemacht, daß ich als junger Rekrut in der Bewegung die alten Veteranen belehren will.
     Das ist nicht der Fall. Es wäre überflüssig, weil ich der festen Überzeugung bin, daß die Veteranen auf demselben Boden stehen
     wie ich. Es kommt hier überhaupt nicht darauf |104| an, irgend jemand zu belehren, sondern eine bestimmte Taktik zum klaren und unzweideutigen Ausdruck zu bringen. Daß ich mir
     meine Epauletten in der deutschen Bewegung erst holen muß, weiß ich; ich will es aber auf dem linken Flügel tun, wo man mit
     dem Feinde kämpfen, und nicht auf dem rechten, wo man mit dem Feinde kompromisseln will. (Widerspruch.) Wenn aber Vollmar
     gegen meine sachlichen Ausführungen das Argument ins Feld führt: Du Gelbschnabel, ich könnte ja dein Großvater sein, so ist
     das für mich ein Beweis, daß er mit seinen logischen Gründen auf dem letzten Loche pfeift. (Lachen.) Tatsächlich hat er im
     Laufe seiner Ausführungen eine Reihe Äußerungen getan, die im Munde eines Veteranen zum mindesten befremdend sind. […] Meinen
     Ausführungen konnte man kein größeres Kompliment machen als durch die Behauptung, daß sie etwas ganz Selbstverständliches
     seien, […] aber nicht für alle hier auf dem Parteitag ist es etwas Selbstverständliches (›Oh!‹).« 79
    Da die Frage der Taktik nicht als gesonderter Tagesordnungspunkt behandelt wurde, kam es zu keiner Entscheidung. August Bebel
     hielt den Stuttgarter Parteitag nicht für den geeigneten Ort, sich mit Bernstein auseinanderzusetzen. 80 Er verlas Bernsteins Erklärung zu dessen Artikelserie von 1896/ 1897 in der »Neuen Zeit« und merkte an, er stehe nicht auf
     dem gleichen Standpunkt.
    Karl Kautsky nahm erst Stellung, als die »Neue Zeit« und Bernsteins Erklärung angegriffen wurden. Da mußte ich reden, schrieb
     er an Bernstein, »es wäre Feigheit gewesen, zu schweigen. Ich glaube nicht, daß es zu Deinem Nachteil war, daß ich sprach.
     Hätte ich nicht August gesagt, ich würde auf Deine Erklärung antworten, hätte er selbst es getan. Wie seine Antwort ausgefallen
     wäre, kannst Du Dir bei seinem Temperament und seiner Rücksichtslosigkeit vorstellen.« 81 Im Unterschied zu Rosa Luxemburg sah Karl Kautsky in Bernsteins Anschauungen mehr als

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