Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
einschlagen. Sie
überanstrengte sich so sehr, daß sie Schwächeanfälle bekam und noch häufiger von Magenkrämpfen gequält wurde. Ungeduld und
die Furcht zu versagen trieben ihr das Blut in den Kopf.
Leo Jogiches hatte großen Anteil an ihrer Artikelserie für die »Leipziger Volkszeitung«. Die erste Fassung habe sie abgeschlossen,
schrieb sie ihm am 22. August 1898. »Ich will sie also schnell zumindest so weit bringen, daß sie einigermaßen aussieht, und
Dir das Ganze schicken. Du wirst sicher den Gedankengang sofort erfassen und ausbauen. Je mehr ich letzten Endes auf die eigenen
Kräfte
angewiesen
bin, um so besser – es ist doch überhaupt eine Schande, mich vor der Welt mit Deinen Federn zu schmücken, und eine solche
Hilfe Deinerseits, wenn ich Dir etwas Fertiges schicke, geht nicht über die zulässigen Grenzen hinaus.« 51 Sie sandte ihm z. B. auch Briefe von Julius Bruhns oder Bruno Schoenlank, damit sie sich beide über deren Inhalt und Absender
austauschen konnten. 52
Wegen ein paar gemeinsamen Ferientagen, nach denen sie sich beide sehnten, spannte sie den Geliebten nahezu auf die Folter.
Ebenso erging es ihrem Vater, der sie in Berlin besuchen wollte, den sie jedoch immer wieder um Verständnis für ihre dringenden
Arbeiten bat. Erst wenn diese erledigt seien, könne sie ihm einen Termin vorschlagen. Sie legte den Zeitungsausschnitten,
die dem Vater oder den Geschwistern zeigen sollten, was und wieviel sie publizierte, manchmal nur einige Zeilen bei. Ihre
Lieben verneigten sich vor ihrem Scharfsinn und Genie, die Antworten enthielten aber auch sorgenvolle Untertöne. Ziemlich
hoffnungslos flehte sie der Vater an, ihm doch bitte wenigstens einmal zu schreiben, wie es ihr geht. Dies sei seine einzige
Freude; auch möge sie nicht vergessen, ihrem Bruder Józef zum Geburtstag zu gratulieren und ihm selbst wieder ein Fläschchen
Medizin zu schicken. Wegen seiner |96| körperlichen Gebrechen und aus Mangel an Geld könne er sich die Arznei nicht selbst beschaffen.
Während der Bernsteindebatte vernachlässigte Rosa Luxemburg alles andere. Sie sann ständig darüber nach, wie sie möglichst
argumentationsstark und auffällig in Erscheinung treten konnte. Zu Recht ging es ihr um einen streitbaren Kampf, um die programmatische
Klarheit und taktische Konsequenz in der Partei; sie wies sich jedoch eine Rolle zu, die sie fast überforderte, so daß sie
– überanstrengt und gereizt – kaum bemerkte, wie tief sie ihre Nächsten verletzte. Ihr Selbstbehauptungsdrang trug egoistische
Züge. Außerdem mutete sie ihrer Familie Unerträgliches zu, wenn sie ihr nach wie vor keinen reinen Wein über die Scheinehe
mit Gustav Lübeck und ihre Lebensgemeinschaft mit Leo Jogiches einschenkte.
Inzwischen rückte der Parteitag der sozialdemokratischen Partei immer näher. »Du weißt sicherlich«, schrieb sie voller Unruhe
an Leo Jogiches am 3. September 1898, »daß Parvus verlangt, die Diskussion über die Bernst[einsche] Taktik auf die
Tagesordnung
zu setzen (dasselbe fordert die ›Gleichheit‹ der Zetkin). Der ›Vorwärts‹ ist natürlich dagegen. Man müßte sich auf den Kopf
stellen, um vor dem Kongreß einen Artikel unterzubringen, und es scheint, daß man davon nicht einmal träumen kann, mindestens
nicht in der ›Neuen Zeit‹. Warum schreibst Du schon vier Tage nichts mehr?? Ich kann nicht mehr! Deine R.« 53 Bald überstürzten sich die Ereignisse. Sozialdemokraten aus Oberschlesien boten ihr gleich mehrere Delegiertenmandate an,
denn auch Fragen der polnischen Organisations- und Pressearbeit in Deutschland sollten behandelt werden, wozu es recht unterschiedliche
Meinungen gab. Nicht zuletzt hatten Rosa Luxemburgs Wahlkampfbeteiligung und ihre kritischen Äußerungen über die »Gazeta Robotnicza«
Vertreter der PPS im preußischen Annexionsgebiet beim Parteivorstand in Berlin aufbegehren lassen.
Rosa Luxemburgs Ehrgeiz war nicht zu bändigen. Wenn sich die Möglichkeit böte, wolle sie auf dem Parteitag zur Frage der Taktik
und des Opportunismus diskutieren und eine Resolution vorschlagen. Dazu müsse sie aber vorher in der Presse hervorgetreten
sein. Für die »Neue Zeit« war es zu spät. Darum setzte sie sich hin und schrieb »in zwei Tagen eine Artikelserie von |97| hundertsieben Seiten für die ›Leipziger Volkszeitung‹. Infolge Zeitmangels schickte ich sie ab, ohne sie neu abzuschreiben.
Schoenlank wurde von einer furchtbaren
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