Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Gebiet sei es günstiger, wenn die Deutschen als die
»herrschende Nation« gegen ihre Regierung protestierten.
|173| Nach Algier, wo sich Leo Jogiches mit seinem an Tuberkulose schwer erkrankten Bruder Ossip von September 1901 bis März 1902
aufhielt, konnte sie anschließend berichten, in Brüssel sei alles nach Wunsch verlaufen. »Singer und Kautsky reichten meine
Resolution als die ihre ein, und sie wurde ohne irgendeine Veränderung einstimmig angenommen. Von den ›Polen‹ war nur die
Wojnarowska da, die mit Plechanow und Kritsch[ewski] mehrere Resolutionen unterzeichnet hat und sogar, wie sie mir schrieb,
100 F von unserer Fraktion hingebracht hat, die sie angeblich auf ihren Namen auf Wechsel (!) geliehen hat. Doch damit nicht
genug: Sie schreibt mir jetzt über Kautsky, daß sie mich als ›korrespondierendes Mitglied‹ von der polnischen Sozialdemokratie
gemeldet hat, und als solches wurde ich bestätigt.« 79 Aus dem korrespondierenden Mitglied Rosa Luxemburg wurde 1903 ein ordentliches Mitglied des Internationalen Sozialistischen
Büros, nachdem Cezaryna Wojnarowska aus dieser Funktion ausgeschieden war.
Bis sich Rosa Luxemburg dieser Aufgabe widmete, wiederholten sich auf den Parteitagen der deutschen Sozialdemokratie in München
1902 und Dresden 1903 ähnliche Polendebatten wie in Lübeck. Provoziert wurden die Diskussionen durch den Beschluß der PPS,
nicht mehr wie bisher gemeinsam mit der deutschen Partei für die Reichstagswahlen zu kandidieren, sondern eigene Kandidaten
aufzustellen. Rosa Luxemburg war dagegen, und der Münchner Parteitag gab ihr recht. Eine von ihr und 22 Genossen vorbereitete
Resolution wurde – mit einigen Änderungsvorschlägen August Bebels – angenommen.
Am 19. Oktober 1902 wurde in Berlin eine vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vorbereitete Konferenz
abgehalten, die zur Überwindung der Differenzen zwischen deutscher Sozialdemokratie und PPS beitragen sollte. Außer den Vorständen
der beiden Parteien nahmen daran unter anderen Rosa Luxemburg, Ignacy Daszyński und Vertreter aus Posen, Schlesien und Oberschlesien
teil. Diese Konferenz wie auch eine weitere Zusammenkunft am 19. Januar 1903 führten zu keiner Einigung. Die PPS trennte sich
endgültig von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und schloß Rosa Luxemburg aus.
Auf den Parteitagen der deutschen Sozialdemokratie in München |174| und Dresden standen sich Rosa Luxemburg und Georg Ledebour in der polnischen Frage jedesmal besonders polemisch gegenüber.
Rosa Luxemburg hielt es schließlich für richtig, am 27. Oktober 1903 im »Vorwärts« ihr Resümee persönlich zuzuspitzen: »Ledebour
hat sich zum unbewußten Werkzeug der ehrabschneiderischen Absichten einer fanatischen Gruppe von Leuten gemacht, die ihrerseits
allerdings sehr wohl wissen, warum sie gerade gegen mich und gegen andre in Posen und Oberschlesien tätige Genossen eifern
und geifern. Das einzige Verbrechen unsererseits besteht in diesem Falle darin, daß wir den Standpunkt vertreten, daß Polen
und Deutsche als Arbeiter
zu
sammengehören
, daß polnische Sozialisten, die zur Partei gehören wollen, sich auf den Boden des Parteiprogramms und des Organisationsstatus
voll und ganz, ohne Zusätze und ohne Fortlassungen, stellen müssen und daß man durch die sozialistische Phrase nicht nationalistische
Verhetzungen beschönigen dürfe.« 80 Sie könne Georg Ledebour nicht verstehen, der in dem Wahn handele, mit seinem unnützen Poltern in der Polendebatte eine »Parteipflicht«
zu erfüllen, wo er doch die Gegend, in der andere sauer arbeiten und dabei von den Gegnern mit giftigen Pfeilen beschossen
werden, wahrscheinlich nicht einmal aus dem Coupéfenster gesehen habe.
Entzog ich mich doch bis jetzt keiner Gelegenheit,
mir Prügel zu holen
Neben der polnischen Frage beschäftigten Rosa Luxemburg in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts viele Probleme in der
internationalen Arbeiterbewegung. »Denken Sie«, schrieb sie am 22. Mai 1902 an Clara Zetkin, »Chaim, vulgo Victor [Adler]
geht gegen mich in der belgischen Frage los.« 81
Im Kampf um das allgemeine Wahlrecht waren am 14. April 1902 in den Kohlenrevieren und Hafenstädten Belgiens 300 000 Arbeiter in den Generalstreik getreten. Am 16. April folgten ihnen die Arbeiter in Brüssel. Fast täglich forderte das
Eingreifen von Militär und Polizei Tote und Verwundete; die liberale Partei aber richtete
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