Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
Herzen operiert wurde. Wenn ich es richtig verstehe, wird bei so einer Operation immerhin Folgendes gemacht: Die Brust wird mit einem Messer aufgeschnitten wie ein Fisch, der filetiert wird. Dann reißen sie den Brustkorb auf wie eine geschlossene Muschel, wobei sie etwas benutzen, das man »Spreizer« nennt.
Allein bei dem Gedanken daran wird mir schon übel. Wenn Gott gewollt hätte, dass wir mit offenem Brustkorb herumlaufen, hätte er sicher einen Reißverschluss in der Mitte angebracht. Ich sehe aber keinen Reißverschluss.
Dann halten sie das Herz an.
Rums. Schluss.
Man wird an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, die das tut, was ihr Name schon sagt. Sie atmet und pumpt das Blut genauso wie ein Mensch, bloß mit Schalter.
Dann wird (oftmals) ein Bein aufgeschnitten, um sich ein oder zwei Venen oder Arterien auszuleihen, ohne das Bein um Erlaubnis zu bitten. Mit Hilfe dieser Vene baut man eine Umleitung um eine Verstopfung in der Aorta. Das verstopfte Gefäß hat alles Recht dazu, weil man in seinem Leben mindestens neun Rinder, vier Schweine und massenweise leckere Sachen wie Wagenladungen von Brathühnern gegessen hat. Das Cholesterin klebt wie Pech an den Aortawänden.
Wenn man seine Aorta nicht durchpusten oder reparieren lässt, tja, dann war’s das mit einem.
Man sollte also meinen, ich würde mir Sorgen machen, dass es bald vorbei sein würde mit Momma.
Dazu wird es aber nicht kommen. Warum?
Weil ich es weiß.
Momma wird hundert Jahre alt werden. Vielleicht noch älter. Ich kann mir vorstellen, dass sie hunderteinundzwanzig wird, nur um Cecilia, Janie und mich zu ärgern. Dann sind wir nämlich selbst bereits Ende neunzig, und ich hoffe, bis dahin taub zu sein, damit ich sie nicht mehr hören kann. Hoffentlich bin ich dann auch blind, damit ich sie nicht mehr sehen muss. Vielleicht habe ich sogar den Verstand verloren und halte mich für jemand anders.
Zum Beispiel für Amelia Earhart. Oder Kleopatra. Oder die Jungfrau von Orléans.
Ich tippe mal auf Kleopatra.
Auf unserer Fahrt nach Portland sah ich einen Windsurfer. Sein Segel war rot und violett. Er hüpfte über die Wellen des Flusses. Fort von den Kämpfen. Fort von den Menschen. Fort vom Leben. Frei.
Er war frei.
Ich fragte mich, ob er mir eine Schicht bei Momma abnehmen würde.
5. Kapitel
Wir ließen Momma in ihr Krankenzimmer einziehen. Es gefiel ihr nicht. (»Zu klein. Dreckig. Ich hab das Gefühl, in einem Staubsaugerbeutel zu sitzen.«) Sie mochte die Krankenhauskleidung nicht. (»Diesen grünen Sack werde ich nicht anziehen. Nie im Leben! Bringt mir meinen rosa Morgenmantel!«)
Sie beschwerte sich, weil sie Hunger hatte, aber nichts essen durfte. (»Ich werde zu Tode gehungert. Ausgehungert. Ihr Mädchen könnt eure Momma nicht mal richtig ernähren.«) Sie hatte etwas gegen die Krankenschwester. (»Sie ist zu dünn. Wenn ich Hilfe brauche, bricht sie durch wie ein Zahnstocher.«)
Auch für die Ärzte hatte sie nichts übrig. »Zu jung. Einer ist Mexikaner. Einer Chinese. Einer ist klein. Ich will einen großen weißen Arzt.«
Das sagte sie ihnen ins Gesicht.
»Es tut mir leid«, übertönte ich sie mit dröhnender Stimme, damit man sie nicht verstand. »Sie ist immer so. Hören Sie einfach nicht hin, oder begeben Sie sich in Therapie. Wir drei haben beides versucht. Trotzdem sind wir wegen ihr leicht neben der Spur. Möchten Sie sie vielleicht sofort mit einem Hammer ausknocken? Haben Sie einen Hammer da?« Ich machte die entsprechende Geste. »Ich übernehme das gerne für Sie.«
Staunend rissen die Ärzte die Augen auf.
Janie begann, sich summend zu wiegen. Dann flüsterte sie: »Ich stelle mir einen friedlichen Ort vor. Mein Hausboot. Auf dem Fluss. Dazu Enten. Vögel. Heiterkeit. Ruhe. Ich habe alles unter Kontrolle.«
»Psst!«, mahnte ich sie. »Schaltet sie aus!«, forderte ich die Ärzte auf. »Nicht meine Schwester, meine Mutter. Nehmen Sie einen Hammer, schneiden Sie sie auf, reißen Sie ihr die Rippen auseinander und reparieren Sie ihre Pumpe. Wenn Sie sie etwas länger hier behalten, zahle ich das gerne. Auch doppelt. Dreifach. Kann sie einen ganzen Monat bleiben?«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, und Momma verkündete krächzend, ich sei eine undankbare, schlecht erzogene Tochter, aufsässig und so weiter. »Ich muss mich jetzt schon für dich schämen, Isabelle.« Sie warf die Arme in ihrem rosa Morgenmantel in die Luft. »Peinlich!«
Ich wusste, dass die Ärzte niemals Geld von mir
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