Rosas Vermaechtnis
etwas überreichen wollte. »Rufen Sie mich an, Gnädigste, Sie werden es nicht bereuen.«
Die beiden prusteten von Neuem los, als sie sich die Szene noch einmal in Erinnerung riefen.
»Eigentlich kann er einem fast leidtun«, meinte Marie, als sie wieder zu Atem gekommen waren, »aber ich fand es schon ziemlich heftig, wie er versucht hat, bei mir zu landen. Kannst du dich noch an die Sandalen mit den gemusterten Socken erinnern? Allein das war Grund genug, nicht darauf einzugehen, außerdem hatte er was vom Glöckner von Notre Dame. Aber er hatte mehr Selbstbewusstsein als wir beide zusammen, das muss ich auch sagen.«
»Trotzdem beneide ich solche Menschen auch irgendwie«, sagte Alexandra nachdenklich, »die sich selbst niemals in Frage stellen und aus der Tiefe heraus unerschütterlich von sich überzeugt sind.«
»Dazu müsstest du aber einen Teil deines Verstandes abgeben, und das willst ausgerechnet du ganz bestimmt nicht!«
»Wahrscheinlich hast du recht.« Alexandra seufzte. »Also, Marie, tust du es trotzdem? Rufst du Heinz Demmer an?«
»Okay, okay, ich werde schon irgendetwas in Erfahrung bringen, wenn es das überhaupt gibt. Am besten, ich versuche es gleich, aufschieben nützt ja nichts.« Sie rollte mit den Augen und schickte sich an, die entsprechende Nummer aus ihrer Telefonliste zu suchen. Dann nahm sie den tragbaren Hörer von der Station und verschwand in der Küche. »Wenn ich hier bei dir bleibe, kriege ich kein ernstes Wort heraus, also entschuldige mich. Bis gleich.«
Als Marie nach einer Viertelstunde den Raum mit angespanntem Gesichtsausdruck wieder betrat, hatte Alexandra fast Mitleid mit ihr.
»Und?« Sie schaute Marie abwartend an. »Gibt es etwas, was wir noch nicht wussten?«
»Du meinst, außer dem ganzen Süßholz-Geraspel und der Einladung zum Essen, die dabei herausgekommen ist?«, antwortete Marie halb lachend, halb entnervt, bevor sie nach einer Atempause fortfuhr. »Ja, ich denke schon. Unser Hof muss in den Zwanziger Jahren ein berühmter Gasthof gewesen sein. Zum gestiefelten Kater hieß er. Ein ungewöhnlicher Name, findest du nicht? Auf jeden Fall muss er seinerzeit zu den angesagten Adressen gehört haben. Darüber können wir sicher noch mehr herausfinden, ohne dass ich mit Demmer essen gehen muss, was meinst du?«
»Klar!« Alexandra starrte nachdenklich in die Luft. »Komisch, vielleicht ist das die Verbindung zu Hafner. Er hatte auf seinem Schreitisch einen ganzen Stapel von Restaurantkritiken liegen. Denkbar wäre, dass er etwas von der Vorgeschichte des Hofes gewusst hat. Aber was würde das ändern?« Sie stützte nachdenklich den Kopf in die Hand und überlegte. Dann sprang sie plötzlich entschlossen auf. »Na ja, auf jeden Fall haben wir einen Punkt, an dem wir ansetzen können! Ich stürze mich mal ins Internet.«
Das Internet ergab eine Reihe von Spuren, »Der gestiefelte Kater« war in den zwanziger Jahren tatsächlich ein bekanntes Restaurant gewesen. Alexandra fand einen Hinweis auf einen Zeitungsartikel zur Eröffnung des Lokals im Juni 1920 und einen weiteren zum 40. Geburtstag des Verlegers und Herausgebers der Bonner Tageszeitung General-Anzeiger, der das Lokal zwei Jahre später an besagtem Tag gemietet hatte. Im Archiv der Zeitung würde sie hoffentlich Näheres finden.
In der Mittagspause des nächsten Tages machte Alexandra sich auf, um die entsprechenden Artikel zu suchen. Wenn sie noch bis zum Betreten des Raumes die romantische Vorstellung gehabt hatte, alte Ordner zu durchforsten und Staub zu atmen, wurde sie rasch eines Besseren belehrt. Alle Einträge waren inzwischen digitalisiert. Sie meldete sich an, ließ sich an einem der Bildschirme nieder und tauchte in die Lektüre alter Zeitungsartikel ein. Eine vergangene, andere Zeit eröffnete sich vor ihren Augen und zog sie bald in ihren Bann.
Der gestiefelte Kater war in den Zwanzigern eine äußerst angesagte Adresse gewesen. Wenn man davon ausging, dass sich damals nur die Wohlhabenden Restaurantbesuche überhaupt leisten konnten, war das Lokal so etwas wie ein Sternelokal gewesen. Und, was sehr ungewöhnlich war, es war von einer Frau geführt worden, die auch Herrin der Küche gewesen war. Rosa Göttner war für ihre ungewöhnlichen und doch zünftigen Gerichte bekannt gewesen, die althergebrachte, oftmals fettreiche Speisen durch andere Zubereitungsarten und Zutatenvariationen in eine leichtere, frische Küche verwandelt hatte, die auch heute noch Bestand haben könnte. Diese
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