Rosas Vermaechtnis
Wert auf unsere Küche legen und vielleicht ein kleines Bistro eröffnen. Im La Vita könnte ich eine Menge lernen, wenn wir den Chef dazu kriegen, dass ich so eine Art Praktikum bei ihm mache, was meinst du? Natürlich soll er das nicht umsonst tun. Ich verspreche ihm ein Portrait in der Kochzeitschrift. Aber die größte Frage ist die, ob er das überhaupt macht, denn wer zieht sich gern die Konkurrenz heran?« Marie wog unschlüssig den Kopf hin und her.
Alexandra nickte. »Das ist eine tolle Idee. Eine Hand wäscht die andere. Du kannst ja außerdem sagen, dass dein Vater einen schwunghaften Weinhandel betreibt und dich Battner als Erbin präsentieren, was ja noch nicht einmal gelogen ist. Vielleicht sucht er ja noch jemanden, bei dem er guten Wein zum Vorzugspreis erstehen kann.«
»Dann muss ich meinen Vater aber einweihen. Der wundert sich doch sonst, warum wir selbst nicht das Geschäft machen.«
Alexandra gefiel die Lösung, auf diese Weise könnten sie sicher an wertvolle Informationen über das Privatleben des Professors kommen, und Marie war sowieso die bessere Köchin von ihnen beiden.
Als sie jetzt ins Geschäft ging, um die neue Weinlieferung aus Bad Neuenahr einzusortieren, und den ersten der zehn Kartons öffnete, stieg ihr ein Geruch entgegen, der ihr sofort vertraut war. Zu Hause im Keller hatte es genauso gerochen, und ohne, dass sie es verhindern konnte, verloren sich ihre Gedanken in der Vergangenheit, während die Hände automatisch ihre Arbeit verrichteten. Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als sie wieder die Stimme ihres Vaters vernahm, der die Mutter in harschem Befehlston anwies, eine Kiste Bier aus dem Keller zu ihm ins Büro in den ersten Stock ihres Elternhauses zu schleppen. Natürlich war sie ihrer Mutter zu Hilfe gekommen, was den Vater wiederum zu groben Schimpftiraden veranlasst hatte, die auf sie beide heruntergingen, bis sie sich schuldig, klein, dumm, bar und bloß fühlten. Alexandra erinnerte sich an die Wut, die sie jedes Mal wieder überkommen, wenn sie gebeugten Hauptes seinen Raum verließ, und an die Rachegedanken, die sie automatisch entwickelte. Unzählige Todesarten hatte sie sich schon für ihn ausgemalt, ohne dass sie das geringste Mitleid verspürt hatte. Die Wutanfälle des Vaters, in denen er ihnen das, was ihm gerade in die Hände fiel, hinterherwarf, waren an der Tagesordnung, und er ruhte nicht eher, bis eine von ihnen ihn für ihre bloße Anwesenheit um Verzeihung bat. Renate und Alexandra zitterten, wenn der Schlüssel sich im Schloss drehte und der Vater von der Arbeit nach Hause kam. Dann endete die harmonische Zeit, die sie in ihren gemeinsamen Stunden genossen, und der Terror begann wieder von vorn. Tausendmal hatte Alexandra ihre Mutter beschworen, sich vom Vater zu trennen, und Abertausende Male hatte ihre Mutter ihr Eheversprechen vor Gott ins Feld geführt, das ihr eine Trennung untersagte. Alexandra war noch nicht einmal in der Pubertät gewesen, als sie erkennen musste, dass ihre Mutter eine schwache Frau war, und hatte im Gegenzug augenblicklich die Verantwortung für sie übernommen. Die Wahl, dies von sich zu weisen, weil sie sich selbst mit dieser Aufgabe überforderte, war ihr nicht geblieben, und gehen konnte sie als junges Mädchen, an der Schwelle zum Erwachsensein, auch nicht, weil sie es nicht fertigbrachte, die Mutter allein ihrem Schicksal zu überlassen.
So waren die Jahre vergangen, in denen sich Alexandras Männerbild geprägt hatte. Hatte sie früher noch gehofft, ihr Vater würde sich ändern, war sie im Laufe der Zeit eines Besseren belehrt worden, und schließlich hatte sie nur noch Hass für ihn empfunden.
Als sie zwanzig Jahre alt war, stolperte der Vater eines späten Abends in ziemlich alkoholisiertem Zustand die steile Kellertreppe aus Stein hinunter. Alexandra und ihre Mutter stürzten herbei und sahen ihn am Fuß der Treppe seltsam verrenkt und schwer atmend liegen. Blut quoll aus einer großen Wunde an seinem Kopf und sein Hals war seltsam überspannt. Renate machte eine Bewegung, um ihm zu Hilfe zu eilen, worauf die Tochter sanft den Arm um sie legte und sie ins Wohnzimmer führte. Bis zum frühen Morgengrauen saßen sie eng umschlungen wie zu Statuen erstarrt auf dem Sofa, bis Alexandra sich behutsam von ihr löste. Sie ging die Kellertreppe hinab und erkannte, dass der Vater tot war. Als sie dann den Notarzt rief, klang sie ganz ruhig.
Die Polizei, die den Fall untersuchte, stellte fest, dass Herr Lindner
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