Rosas Vermaechtnis
betrunken die Treppe hinuntergefallen war und Ehefrau und Tochter angesichts der späten Stunde nichts davon mitbekommen hatten, weil sie bereits tief schliefen.
Die Beerdigung war für beide zum Tag der Befreiung geworden, und sie sprachen nie wieder darüber, was sich wirklich an jenem Unfalltag zugetragen hatte.
Trotzdem lastete dieser Vorfall seit vielen Jahren auf Alexandras Seele, obwohl sie sich ehrlich eingestehen musste, dass sie, hätte sie die Wahl, aus damaliger Sicht immer wieder so handeln würde. Obwohl sie sich zuerst selbst nicht darüber klar gewesen war, hatte der gewaltsame Tod des Vaters sie in ihrer Berufswahl beeinflusst. Vielleicht war es so etwas wie ein Zwang gewesen, sich immer wieder vom Tod eines Menschen zu überzeugen, mit dem sie als Rechtsmedizinerin konfrontiert wurde. Aber auch ihre andere Seite hatte etwas damit zu tun, wenn die Toten ihr ihre Geschichte erzählten, in die sie sich einfühlen musste, eine Geschichte, in der sie für Alexandra wieder lebendig wurden, bevor sie das Skalpell zum ersten Obduktionsschnitt ansetzte. Die psychische Belastung hatte sie schließlich nur noch mithilfe ihrer rosaroten Brille ertragen, und ihre Seele war fast daran zerbrochen, sodass sie sich nur noch durch einen radikalen Schnitt aus der Gefangenschaft befreien konnte.
Einen Mann, der das Leben mit ihr teilte, gab es bisher nicht. Nach einigen Fehlversuchen, bei denen Alexandra immer wieder feststellte, dass die in Frage kommenden Männer irgendwann Ähnlichkeiten mit ihrem Vater aufwiesen, ohne dass sie zuerst damit rechnen konnte, hatte sie es aufgegeben, vorläufig jedenfalls.
Bei Marie war das anders. Beseelt durch ihre glücklichen Erfahrungen, war sie fest davon überzeugt, dass ein zweites Lebensglück irgendwo auf sie wartete, auch wenn sie nicht wusste, wann das sein würde.
Ihre positive, zugewandte Art, ihr offensichtlicher Sachverstand und nicht zuletzt das Portrait seines Restaurants waren es schließlich, die Giovanni Battners Befürchtungen, einer Konkurrentin Einblick in sein heiliges Reich zu gewähren, zerstreuten. Dazu kam das überaus faire Angebot, das Maries Vater ihm für seine Spitzenweine einräumte, sodass er Marie schließlich die Hand reichte, um sie in seinem Team willkommen zu heißen. Und Marie enttäuschte ihn nicht. Sie, die selbst eine leidenschaftliche Sammlerin von Rezepten war, brachte sich mit Können und so viel Experimentierfreude ein, dass selbst ein so begnadeter Koch wie er neue Impulse bekam. Es dauerte nicht lange, bis Giovanni Battner Marie das Du anbot, womit auch persönliche Themen in den Vordergrund rückten. Marie kam sich richtig verschlagen vor, ihn unter Vortäuschung falscher Tatsachen dorthin gebracht zu haben, aber – so rechtfertigte sie ihre Taktik – sie wollte ihm ja nichts Böses.
»Heute hat Giovanni mir von seinem verstorbenen Freund Balduin erzählt, der einem Unfall zum Opfer gefallen ist – na ja, so kann man das auch nennen. Wahrscheinlich wollte er nicht, dass ich neugierig werde, wenn von Mord die Rede gewesen wäre«, berichtete Marie Alexandra am Abend. »Jedenfalls kamen wir darauf, weil ich ihm vorher von dir und unserer siebenjährigen Freundschaftspause erzählt hatte. Stell dir vor, es ist ihm mit dem Professor ganz ähnlich ergangen. Sie waren die besten Freunde und von einem Tag zum anderen haben sie nichts mehr voneinander gehört. Erst viel später haben sie ihre Freundschaft wieder aufleben lassen, und da entstand die Idee, zusammen noch einmal etwas Neues in Angriff zu nehmen.«
»Das war der Zeitpunkt, als Hafner sich für unseren Hof interessierte, oder?«
Marie nickte. »Genau. Jetzt überlegt Battner, ob er ein neues Projekt mit seinem Sohn auf die Beine stellt. Der ist Patissier und arbeitet in dem Edelrestaurant in der Bonner Innenstadt. Wie heißt das doch gleich?«
»Du meinst das mit dem französischen Namen, nicht wahr? Ich komme gerade nicht drauf, ach, ist ja auch egal, ich weiß jedenfalls, was du meinst. Das ist ja interessant! Also wollten sie aus unserem Hof so etwas wie einen Gourmet-Tempel machen?«
»So ähnlich. Es hätte ja auch was hergegeben, mit dem großen Garten und der schönen Terrasse. Ja, das wäre sicherlich eine Möglichkeit gewesen. Welche Rolle hätte Hafner denn dabei gespielt? Den Service hätte er doch sicher nicht übernommen?«
»Du, sag das nicht«, antwortete Marie eifrig, »ich bin davon überzeugt, dass er das aushilfsweise wirklich getan hätte, allein
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