Rose der Prärie
Waschschüssel veränderte sich die Ärztin auf eine Weise, die Maggie nur zu gut kannte. Sie legte die nachbarschaftliche Freundlichkeit ab und wurde professionell. „Guten Tag, Mrs Crewel.“
„Meine Schwiegertochter, diese eingebildete Heilerin, hat ihre Chance bei mir schon gehabt und nichts bewirkt. Holen Sie mir einen Mann. Mit einem medizinischen Abschluss.“
„Ich versichere Ihnen, dass ich eine richtige Ärztin mit einem medizinischen Abschluss bin.“ Die Ärztin ging durch die Hütte zu Mas Bett. „Außerdem bin ich der einzige Arzt hier in der Gegend. Wenn ich Sie untersucht und Ihnen einige Fragen gestellt habe, werden Sie merken, dass es sehr viel einfacher ist, mit einer Frau über diese Dinge zu reden.“ Maggie half Ma aus dem Rollstuhl aufs Bett. Doch Ma machte es ihr so schwer wie möglich. Ihre Antworten auf die Fragen der Ärztin waren mürrisch, aber die Ärztin ließ sich nicht beirren. Als sie fertig war, verschränkte die Ärztin die Arme vor der Brust. „Mrs Crewel, in Ihrem Gehirn ist ein Gefäß beschädigt worden, wahrscheinlich geplatzt. Das nennt man auch einen Schlaganfall.“
„Einen Anfall.“ Ma spuckte das Wort aus, als wäre es schmutzig. „Heißt das, ich bin besessen? Als Nächstes sagen Sie mir noch, dass es eine Strafe Gottes war.“
„Ma!“ Maggie wollte beschwichtigend nach Mas Hand greifen, aber die Ärztin wehrte ab.
„Es ist schlimm, dass in der Vergangenheit viele Krankheiten vergeistlicht wurden, nur weil wir sie nicht verstehen konnten und nicht viel über die Medizin wussten. ,Schlaganfall‘ ist ein medizinischer Fachbegriff und hat nichts mit einer Strafe Gottes zu tun. Nur ein ziemlich dummer oder unwissender Mensch würde sich ein Urteil darüber erlauben, wie die Beziehung eines anderen Menschen mit Gott aussieht. Sie werden Ihres Lebens nicht mehr froh werden, wenn Sie davon ausgehen, dass alle Menschen Sie nur beleidigen wollen, wenn sie die Worte Anfall oder Schlaganfall benutzen.“
„Sie haben leicht reden. Sie werden von den Leuten ja auch nicht verurteilt!“
Die Ärztin hob fragend eine Augenbraue. „Wie die meisten anderen Menschen haben Sie mir vorhin Ihr negatives Urteil auch nicht vorenthalten, weil ich eine Frau bin, die als Ärztin arbeitet. Genauso wie ich mir den Respekt dieser Gemeinde hier vor Ort erkämpfen musste, werden Sie darum kämpfen müssen, Ihre Fähigkeiten wieder zu lernen. Es ist äußerst wichtig, dass Sie jeden Tag Ihre Übungen machen. Jede Verzögerung wird Ihre Genesung hinausschieben oder erschweren.“
Maggies Bewunderung für die Ärztin wuchs mit jedem ihrer Worte.
„Sie haben eine gute Ausgangsposition.“ Die direkte und freundliche Art der Ärztin war frei von Mitleid – Mitleid, das Ma so gerne wollte und doch so sehr hasste. „Es ist ein Segen, dass Ihr Verstand so gut funktioniert und dass Ihre rechten Gliedmaßen Ihnen noch gehorchen. Zehn Tage nach Ihrem Schlaganfall sind Ihre Gelenke beweglich und Ihre Hand ist nicht zu einer Faust verkrampft. Die meisten Patienten sind zu diesem Zeitpunkt bereits völlig versteift und verkrampft. Viele von Ihnen haben sich auch schon wund gelegen, weil sie zu lange in einer Position im Bett waren.“
„Versteift? Das kann gar nicht passieren, so wie Maggie mich die ganze Zeit traktiert, an meinen Gliedern zerrt und sie dreht, als wäre ich eine Stoffpuppe. Es ist ein Wunder, dass ich noch alle meine Gliedmaßen habe!“
„Ein Wunder, Mrs Crewel, wird es sein, dass Sie wieder viel selbst tun können, wenn Sie kooperieren. Es gibt keinen Grund, warum Sie nicht Kleidung ausbessern, Knöpfe annähen, Erbsen schälen oder ein Dutzend anderer Sachen machen können.“ Die Ärztin holte Nadel und Faden aus ihrer Tasche und machte zwei Stiche am Saum von Mas Bettlaken. Dann nahm sie die Nadel in die andere Hand und machte noch zwei Stiche. Alle vier Stiche sahen genau gleich aus. „Ein Beidhänder zu werden ist eine Herausforderung, aber Sie haben einen starken Willen. Wenn Sie alle Fähigkeiten in Ihrer linken Hand wiedergewinnen, dann können Sie sogar noch mehr helfen. Wenn nicht, sind Sie trotzdem wieder einigermaßen unabhängig, wenn Sie Ihre rechte, gesunde Seite trainieren. Ich bin sicher, dass Sie die Dinge lieber alleine tun, als von Ihrer Schwiegertochter abhängig zu sein, oder?“
„ Ja.“ Helgas Stimme klang belegt und versprach, dass sie ab jetzt kooperieren würde.
„ Wunderbar!“ Die Gesichtszüge der Ärztin erhellten sich. „Ich muss
Weitere Kostenlose Bücher