Rose Harbor und der Traum von Glueck
konnte immer noch behaupten, ihn nicht gesehen zu haben, oder eine andere fadenscheinige Erklärung vorbringen.
» Josh « , seufzte Michelle. » Ich verstehe dich nicht. «
» Was gibt es da zu verstehen? « , fragte er.
Als er älter wurde, traf er ganz bewusst die Entscheidung, das Glück seiner Mutter nicht trüben zu wollen. Sie war ausgeglichen und zufrieden; sie liebte Richard und Dylan, und beide liebten sie. Dass er seine Mutter mit zwei anderen Menschen teilen musste, hielt er nicht für ein Problem – schließlich hatte er sich immer eine komplette Familie gewünscht. Obwohl sich seine Erwartungen nicht erfüllten, schwieg er. Hauptsache, seine Mutter war glücklich.
Und das war sie: Sie summte vor sich hin, wenn sie kochte, vor allem bei den Desserts, sie pflanzte schöne Blumen und strickte Pullover und Jacken für die Jungs. Alles Dinge, die aus Geldmangel früher nicht möglich waren. Sie genoss es, Richard und Dylan, die eine Weile ohne weibliche Fürsorge gelebt hatten, zu verwöhnen. Weil Josh das erkannte, hielt er den Mund.
» Meine Mutter war glücklich « , sagte er nach einer langen Pause. » Richard hat sie glücklich gemacht. «
Michelle schien ihn mit einem Mal mit anderen Augen zu betrachten. » Du warst offenbar sehr reif für dein Alter, beinahe abgeklärt, Josh. «
Wenn das zutraf, schuldete er seiner Mutter Dank dafür. Sie hatte ihn dazu erzogen und ihm ein Gefühl für Anstand und ehrenhaftes Verhalten vermittelt.
Josh ging den Flur hinunter zum Schlafzimmer seines Stiefvaters, bemühte sich, leise aufzutreten. Nach dem Essen hatte Richard unter Protest die vom Klinikarzt verordneten Medikamente geschluckt, war sofort zu Bett gegangen und innerhalb weniger Minuten eingeschlafen.
Die Tür knarrte, als Josh sie öffnete.
» Ich bin noch nicht tot, falls du das gehofft haben solltest. «
Josh schaltete das Licht ein und betrat das Zimmer. Richard lag gegen zwei Kissen gelehnt im Bett.
» Du lebst vermutlich noch zehn Jahre, nur um mir eins auszuwischen « , sagte er halb im Scherz.
» Eigentlich sollte ich das. «
» Lass dich von mir nicht davon abhalten. Brauchst du irgendetwas? «
Richard setzte sich auf und blickte Josh finster an. » Nichts, was du mir geben könntest. Was willst du hier? «
» Nachschauen, ob du es bequem hast. «
Richard schnaubte und schüttelte den Kopf. » Du wolltest mich bestehlen, gib’s zu. Das hast du schon einmal getan, also warum sollte ich dir jetzt glauben? «
Einen Moment lang flammte der alte Groll wieder in Josh auf, und er versetzte scharf: » Du weißt so gut wie ich, dass ich das Geld damals nicht genommen habe. «
Er hätte sich seinen Protest sparen können, denn sein Stiefvater tat, als habe er seine Worte nicht verstanden.
» Du hast mich vor zwölf Jahren angelogen, und du lügst heute wieder « , giftete er weiter, bevor er sich zurücksinken ließ.
Josh, der sah, dass die Auseinandersetzung den Kranken die letzte Kraft kostete, machte gute Miene zum bösen Spiel. Er hob ein Kissen auf, das zu Boden gefallen war.
» Soll ich es dir in den Rücken schieben? « , fragte er.
Richard zögerte einen Moment, dann nickte er.
Josh stopfte das Kissen an seinen Platz zurück und zog die Bettdecke glatt.
» Danke. «
Zuerst glaubte Josh seinen Ohren nicht zu trauen – Richard hatte sich tatsächlich bei ihm bedankt?
» Gern geschehen « , erwiderte er.
Sein Stiefvater atmete mühsam ein und aus, bekam offenbar mal wieder sehr schwer Luft. Josh, der sich bereits zum Gehen gewandt hatte, blieb am Fußende des Bettes stehen.
» Michelle und ich haben gerade miteinander gesprochen, und … Na ja, ist ja egal, aber ich möchte dir etwas sagen. «
» Ich will nichts hören « , wehrte sich Richard matt. » Ich bin müde, lass mich allein. Raus hier, bevor ich … «
Josh ignorierte die Tirade und sprach einfach weiter. » Ich möchte dir dafür danken, dass du meine Mutter glücklich gemacht hast. «
» Oh, ich … « Richard brach abrupt ab. » Was hast du da eben gesagt? «
Josh war ziemlich sicher, dass der alte Mann ihn genau verstanden hatte. » Meine Mutter war mit dir glücklich, vielleicht zum ersten Mal so richtig seit meiner Geburt. «
Richard starrte ihn an, als könne er nicht glauben, was er da hörte.
Unbeirrt fuhr Josh fort: » Und ich wollte dir dafür danken, dass du ihr dieses bisschen Glück in ihrem kurzen Leben geschenkt hast. Gott weiß, dass sie es verdient hatte. «
» Deine Mutter war eine
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