Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
verblüffte ihn ebenso wie den jungen Edward in Harrisons Stadthaus.
»Ja, Russell, meine Frau gleicht Lady Agatha«, bemerkte Harrison, bevor der Diener sich von seiner Überraschung erholen und das Wort ergreifen konnte.
Lächelnd nickte der ältere Mann. »Gewiss, Mylord, ich war ganz verdutzt«, gestand er.
Nur mit halbem Ohr hörte Mary den kurzen Wortwechsel. Sie stand inmitten der imposanten Halle und schaute sich verwundert um. Schwarzweiße Marmorfliesen bedeckten den Boden, eine breite, geschwungene Treppe führte nach oben. Am Deckengewölbe, drei Etagen höher, hing ein grandioser Kristalllüster, in dem über fünfzig Kerzen steckten. Mary Rose konnte sich nicht vorstellen, wie irgendjemand sie erreichen mochte, um sie anzuzünden.
»Wo ist Lord Elliott?«, fragte Harrison. »Ist er heute schon heruntergekommen, oder arbeitet er in der Bibliothek?«
»Wo er jetzt gerade ist, weiß ich nicht, Mylord. Er dachte, Sie würden erst heute Nachmittag eintreffen. Möchten Sie nach oben gehen und in der Bibliothek warten, während ich ihn suche?«
Harrison schüttelte den Kopf. »Nein, das Wetter ist viel zu schön, um im Haus zu bleiben. Wir gehen lieber in den Garten. Komm, Mary Rose!« Er ergriff ihre Hand und führte sie durch einen großen Raum mit mehreren Sofas und Sesseln, kleinen Tischen mit Glasplatten und einem gigantischen Marmorkamin.
Alle Sitzmöbel waren mit kostbarem Brokat bezogen. Hingerissen blieb Mary Rose stehen. Nie zuvor hatte sie eine so extravagante Einrichtung gesehen.
»Was denkst du?«, fragte Harrison, der sie beobachtete. »Irgendwas scheint dich zu verwirren.«
»Was für ein unpraktisches Mobiliar!«, erwiderte sie im Flüsterton, damit die Dienstboten nichts hören konnten. »Der Staub, der durchs Fenster hereinweht, muss die Bezüge doch ruinieren.«
»Gefallen sie dir?«
»O ja, aber ich würde niemals wagen, in so einem Sessel zu sitzen. Wenn ich ihn schmutzig mache …«
Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und geküsst. Sie war so herrlich unverdorben. »Gehen wir hinaus?« Er zog sie zu einer Glastür. Dahinter lag ein Hof mit Steinboden, von einer drei Fuß hohen Ziegelmauer umgeben. Von hier blickte man in einen Garten, und Mary Rose fühlte sich an die Bilder von königlichen Parks erinnert, die sie in Büchern gesehen hatte. Harrison stieß die Tür auf und folgte seiner Frau hinaus. »Wie du sicher schon bemerkt hast, ist dein Vater ein Blumenfreund. Einmal erzählte er mir, wenn er besonders schwierige Probleme lösen müsse, würde er Unkraut jäten. Und er schlug schon viele siegreiche juristische Schlachten, während er auf den Knien lag. Wenn er sich auch mit Reichtümern umgibt – er genießt vor allem die einfachen Dinge des Lebens.« Er geleitete sie zu einem Gartenstuhl mit gelben Kissen und schlug ihr vor, hier zu warten, während er Russell bei der Suche nach Elliott half.
»Sollten wir nicht unsere Koffer nach oben bringen und die Sachen auspacken? Wenn ich meine Kleider nicht sofort aufhänge, zerknittern sie.«
»Darum kümmert sich das Personal.«
Sie setzte sich und faltete die Hände im Schoß. »Ja, natürlich.« Erst jetzt erinnerte sie sich wieder an Lord Elliotts zahlreiche Dienstboten. Harrison hatte mindestens ein Dutzend Namen aufgezählt, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass man sich von so vielen Leuten bedienen ließ. Da sie es gewöhnt war, für sich selbst zu sorgen, bezweifelte sie, dass ihr dieser Lebensstil gefallen würde.
Ehe Harrison ins Haus zurückkehrte, küsste er ihre Stirn. Sie war zu nervös, um lange still zu sitzen. Was sollte sie sagen, wenn sie ihrem Vater gegenüberstand? Es erschien ihr überaus wichtig, die richtigen Worte zu finden, denn sie wollte ihn nicht enttäuschen. So viele Jahre lang hatte er nach ihr gesucht. Deshalb wäre es unangebracht, wenn sie einfach nur versicherte: »Freut mich, dich kennen zu lernen.«
Mary Rose beschloss dem Steinpfad zu folgen, der in den Garten führte, und hoffte, ein Spaziergang würde sie beruhigen. Überall dufteten Blumen. Die verschiedenen Aromen erinnerten sie an ihr heimatliches Tal, und sie entspannte sich ein wenig. Langsam wanderte sie weiter, blieb immer wieder stehen, um Blumen zu betrachten, die sie nicht kannte. Eines der prächtigen Gewächse erschien ihr besonders merkwürdig. Mit den roten und rosa Blütenblättern glich es einer Rose, roch aber nach Flieder.
Die friedliche Stille und die schöne Umgebung besänftigten ihre Nerven.
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