Rosen des Lebens
Exzesse der Kirchen,
der reformierten wie der katholischen, abstießen –, schickte ich ein kleines Gebet gen Himmel, er möge mir den liebreichsten
aller Väter so lange wie möglich erhalten.
Ich saß in meinem pelzgefütterten Hausgewand vorm Feuer, Montaignes
Essais
auf dem Schoß. Mal las ich, mal sann ich und schaute in die tanzenden Flammen. Mein guter La Barge kam und meldete, man habe
bei mir geklopft, und als er mit der empfohlenen Vorsicht öffnete, habe er sich einem kleinen Mädchen von elf, zwölf Jahren,
wunderhübsch und reinlichst gekleidet, gegenübergesehen, das ihn mit sanfter, singender Stimme um Einlaß gebeten habe, es
habe seinem Herrn eine vertrauliche Mitteilung zu machen.
»Hat sie ihren Namen genannt?«
»Nein, Herr Graf, sie will ihn nur Euch nennen.«
»La Barge, meinst du, die kleine Person ist von Stand?«
»Bestimmt, Herr Graf. Sie drückt sich sehr gewählt aus.«
»Also, laß sie auf ihr gutes Gesicht ein. Sie wird mich schon nicht ermorden wollen«, schloß ich.
La Barge ließ die Besucherin herein, die bei meinem Anblick in eine Reverenz versank, an der nichts zu mäkeln war, so anmutig
und geschmeidig war sie. La Barge zog sich auf mein Zeichen zurück, und ich betrachtete schweigend dieses reizende kleine
Mädchen. Denn das war sie wirklich, obwohl ihre Augen seltsam erwachsen blickten.
»Mademoiselle«, sagte ich, »da wir nun unter uns sind, wie Ihr es wünschtet, darf ich um Euren Namen bitten?«
»Ich heiße Françoise Bertaut«, sagte sie mit einer gewissen Bedeutsamkeit. »Mein Vater ist königlicher Kammerdiener, und meine
Mutter, eine geborene Bessin de Mathonville, ist eine der Frauen Ihrer Majestät der Königin.«
Offenbar, dachte ich, war ihr Vater nicht adlig, da sie betont hatte, daß ihre Mutter es war. Doch während sie die Aufgabe
ihres Vaters benannt hatte, ließ sie im unklaren, was ihre Mutter bei der Königin machte. Als ich mich am nächsten Tag diskret
erkundigte, erfuhr ich, daß Madame Bertaut kein Amt innehatte, daß sie in der Umgebung der Königin aber gern gesehen |337| war wegen ihres heiteren Wesens und ihrer spanischen Abkunft.
Ich kannte die Mutter des Mädchens nicht, dafür kannte mein Vater den ihren gut und noch besser seinen Bruder, den Dichter
Jean Bertaut, den Henri Quatre zum Bischof von Sées ernannt hatte.
»Nun, Mademoiselle«, sagte ich, »was habt Ihr mir mitzuteilen? Bitte, nehmt doch auf diesem Schemel Platz. So redet es sich
besser.«
Da saß sie denn, sehr gerade, die Hände übereinandergeschlagen, und schaute mich ruhig aus großen blauen Augen an.
»Herr Graf«, sagte sie, ohne daß ihre Stimme im geringsten zitterte, »ich habe Euch ein Geheimnis von größter Wichtigkeit
mitzuteilen. Doch bevor ich es Euch mitteile, möchte ich, daß Ihr mir Euer Edelmannswort darauf gebt, daß Ihr niemals jemandem
sagt, woher Ihr es habt.«
Ich staunte. Nie hätte ich gedacht, daß ein Mädchen dieses Alters einen so langen und wohlformulierten Satz von alleine zustande
brächte, hätten ihre lebhaften blauen Augen mir nicht bereits die beste Meinung von ihrem Verstand gegeben.
»Wenn ich Euch recht verstehe, Mademoiselle«, sagte ich, »kann ich Euer Geheimnis enthüllen, wenn ich es für nützlich halte,
aber nicht seine Quelle.«
»So ist es, Herr Graf.«
Ich schwieg, denn was sollte ich davon halten? Wenn dieses Kind mir ein Geheimnis anvertraute, so doch offenbar, damit ich
es weitergebe, aber an wen und warum?
»Mademoiselle, wenn Ihr Euch meiner bedienen wollt, müßt Ihr mehr sagen. Darf dieses Geheimnis zum Beispiel der König erfahren?«
»Ja, Herr Graf, er und nur er allein.«
»Nützt ihm dieses Geheimnis?«
»Ja, Herr Graf. Es ist in jeder Hinsicht gut, wenn Seine Majestät die Wahrheit kennt.«
»Weil man sie ihm verborgen hat?«
»Ja, Herr Graf.«
»Und die Tatsache, daß man sie ihm verborgen hat, könnte ihm künftig von Schaden sein?«
»Ja, Herr Graf. Und noch mehr der Königin. Wenn sie nicht achtgibt, stürzen ihre Freundinnen sie ins Unglück.«
|338| »Glaubt Ihr das, oder glauben es andere Personen?«
»Herr Graf, es gibt keine anderen Personen. Ich handele allein, aus eigenem Antrieb.«
Diese raschen, klaren Antworten überzeugten mich vollends, daß man das Mädchen von Anfang bis Ende hören müsse und daß sie
keine eingelernte Rolle wiedergab.
»Sprecht, Mademoiselle«, sagte ich ernst. »Ich gebe Euch mein Edelmannswort darauf, daß ich die
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