Rosen für die Kaiserin
Kind gezeugt hatten, so wäre Theophanu die Teilnahme am Feldzug endgültig verwehrt geblieben. Sie hätte in der Pfalz zu Aachen bleiben müssen, wo auch ihre Töchter samt Ammen ausharrten. Hätte sie freilich geahnt, welch furchtbare Erlebnisse auf sie warteten, so wäre sie tatsächlich bei ihren Töchtern geblieben. Zwei finstere, betrübliche Monate standen ihr bevor. Und hinterher kehrten die Bilder aus jenen Wochen in so manchem Albtraum wieder.
Viele Tausend schwer gepanzerte Reiter machten sich auf den Weg Richtung Paris. Auch Theophanu ritt zu Pferd, da sie an des Kaisers Seite bleiben wollte, anstatt – wie noch beim Feldzug gegen Harald Blauzahn – im Tross zu reisen. Keiner der Fürsten konnte sich erinnern, jemals eine Frau inmitten der berittenen Truppen gesehen zu haben. Freilich verriet Theophanu nicht einmal ihrem Gemahl, wie sehr sie sich danach sehnte, endlich wieder schöne Kleider zu tragen.
Sie kannte den Krieg bereits, doch der Feldzug gegen die Franzosen übertraf alles, was sie bis dahin erlebt hatte. Ihre hohe Bildung schützte sie nicht vor der leichtgläubigen Fehleinschätzung, der Krieg gegen Lothar verfolge im Grunde ein edles Ziel, nämlich einen Herrscher zu bestrafen, der gegen eine gottgewollte Ordnung aufbegehrt hatte. Von militärischen Dingen verstand sie nur wenig, und bald wurde ihr bewusst, wie töricht es gewesen war, sich niemals damit auseinanderzusetzen. Die Wirklichkeit traf sie wie ein Faustschlag.
Lothars Heer wich vor der Übermacht zurück. Den Weg nach Paris markierten bald brennende Dörfer. Das Vieh auf den Wiesen wurde abgeschlachtet, Bauern, die sich dagegen empörten, erbarmungslos niedergemacht. Wenn Otto sich auch Mühe gab, seine vornehme Gemahlin vor solchen Rohheiten abzuschirmen, blieb ihrer Aufmerksamkeit wenig verborgen. Schwarze Rauchschwaden, die in der Ferne zum Himmel stiegen, ausgeweidete Tierkadaver an den Wegrändern … und nicht zuletzt immer wieder Menschen, die zwischen Angst und Zorn und maßloser Verzweiflung schwankten. Die Apokalypse war über sie gekommen.
Eines Abends – sie lagerten unweit von Soissons, das die Truppen verwüstet hatten – stellte Theophanu ihren Gemahl zur Rede.
»Sie plündern, brandschatzen und morden, Otto!« Es war eine Anklage.
Otto saß auf seinem Lager und blickte mit leeren Augen zum Zeltdach. Nur eine Talgkerze spendete spärliches Licht.
»Wie kannst du das nur zulassen? Diese Taten schreien zum Himmel!«
»Wusstest du nicht, dass der Krieg den Krieg ernährt?«, erwiderte Otto müde.
»Das ist nicht der gerechte Krieg des Augustinus, den du hier führst. Nie und nimmer ist er das.«
»Auch Augustinus kann nicht die Mägen meiner Männer füllen. Das Heer, das ich anführe, ist das größte seit der Ungarnschlacht, Theophanu.«
»Nicht die hiesigen Bauern haben versucht, dir Lothringen zu entreißen.«
»Es ist die Schuld ihres Königs, dass wir uns an ihrem Vieh schadlos halten müssen.«
»Ich sah tote Menschen, darunter auch Frauen und Kinder. Sie waren erstochen, verbrannt, verblutet. Du musst deinen Männern solche Gräueltaten verbieten.«
»Das ist so einfach nicht. Ihre Treue zu mir kennt Bedingungen. Ich kann sie nicht maßregeln wie störrische Kinder.«
»Kinder? Einige würde ich eher als Bestien bezeichnen. Doch in Wahrheit sind es Gefolgsleute Kaiser Ottos, des Zweiten seines Namens, des Mannes, dessen Reich in der Nachfolge der Cäsaren stehen will.«
Otto vergrub sein Gesicht und schwieg. Eine Weile betrachtete sie ihn mit zusammengebissenen Lippen.
»Du hast dich verändert«, sagte sie schließlich leise.
»Vielleicht ist das der Preis, den ich zahlen muss.«
Sie schwiegen. Otto litt größte Qualen. Theophanu trat auf ihn zu, nahm seinen Kopf in beide Hände, presste ihn zärtlich gegen ihren Bauch. Hatte sie nicht versprochen, ihm beizustehen? Und nun überschüttete sie ihn mit Anklagen. War er nicht im Herzen ein Gelehrter, der aber als Herrscher ein Krieger sein musste? Sie liebte ihn, aber die Welt stellte sie beide auf eine harte Probe.
»Gott möge mich strafen«, flüsterte Otto mit brüchiger Stimme. »Jede Buße will ich annehmen, wenn Er mir zürnt. Nur eines darf Gott mir niemals antun: dich mir wegnehmen. Ich bete, dass du mich überlebst, Geliebteste.«
Mitte Oktober erreichten sie Paris, doch die Tore der Stadt blieben ihnen verschlossen. Man bezog Lager beim Montmartre, am rechten Ufer der Seine. Versuche, die Mauern zu erstürmen, scheiterten
Weitere Kostenlose Bücher