Rosen für die Kaiserin
Wagenrennen und Tierhetzen stattgefunden. Er glich einem Torso, einem kolossalen Steinbruch, aus dem Bäume und Sträucher wuchsen.
»Nun, was sagst du, Eunice? Die Ewige Stadt – da liegt sie dir demütig zu Füßen«, sagte Theophanu aufmunternd, »als würde sie dich um Verzeihung bitten für all das Ungemach, das du durch sie erleidest.«
»Es ist die Stadt, die meine Herrin weinen lässt«, kam es nach einer Weile leise und anklagend zurück.
»Sei nicht länger betrübt, ich will es auch nicht mehr sein.«
»Das letzte Mal standet Ihr hier, nachdem der Kaiser gestorben war.«
»Weil ich mich nach Ruhe sehnte. So wie heute.«
»Damals habt Ihr nicht geweint.«
»Vielleicht hätte ich es tun sollen.«
»Nein. Ihr sollt nicht weinen. Nie.«
»Sprich nicht unentwegt vom Weinen, Eunice. Warum genießt du nicht die Herbstluft?«
Eunice schwieg und blickte über die Stadt, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Schließlich fragte sie mit schläfriger Stimme: »Werdet Ihr Luitger einen Kuss von mir geben, wenn Ihr aus Italien zurückgekehrt seid?«
»Ungewöhnliche Wünsche äußerst du. Als seine Mutter musst du ihn schon selbst küssen.«
»Aber wenn ich nicht mehr da bin, dann werdet Ihr es doch für mich tun, oder? Ihm einen Kuss geben.«
»Gewiss, gewiss. Doch ich sagte dir bereits, dass dir nichts zustoßen wird. Hör endlich auf, dich wie ein jammerndes Kind zu benehmen.«
Eunice schürzte die Lippen. Ihr Gesicht verhärtete sich. »Ihr wart die beste Herrin, die man sich vorstellen kann. Habt Dank für alles!« Sie machte einen tiefen Atemzug, setzte einen Fuß auf den bröckelnden Mauerrest. »Tausend Dank für alles«, sagte sie noch einmal und blickte Theophanu treu, aber unendlich müde in die Augen. »Ach, wie sehr ich Euch liebe! Bis in alle Ewigkeit werde ich Euch lieben!«
Verständnislos sah Theophanu die Dienerin an. Gesellte sich zu ihrer Schwermut jetzt auch noch Wahnsinn? Als das Begreifen dann wie ein Blitzschlag über sie kam und ihre Hand hastig das Kleid der Dienerin zu packen suchte, um sie am Sprung zu hindern, war es zu spät.
Kein Todesschrei entrang sich Eunices Lippen, als sie in die Tiefe stürzte.
*
Am 21. Oktober 990 kam eine Finsternis über das Reich. Zur fünften Stunde des Tages schob sich ein schwarzer Schatten vor die Sonnenscheibe und raubte der Welt das Licht. Für die Dauer von drei Vaterunsern blieb es dunkel, dann verschwand der Schatten wieder. Aber die Furcht vieler Menschen blieb. Hatte Gott ein Zeichen gesandt? Stand das Ende der Welt bevor?
Gelehrte versuchten, zur Beruhigung beizutragen. Schuld an dem Ereignis sei allein der Mond, der sich jedes Zeitalter einmal vor die Sonne schiebe. Schon die alten Griechen und Römer hätten das Phänomen beschrieben.
Hartnäckig aber hielt sich der Glaube, die Finsternis künde von kommenden Umwälzungen – oder vom baldigen Tod eines Herrschers.
22
J
utta war sechzehn Jahre alt, als sie sich zum ersten Mal für einen Burschen interessierte.
Im Frühjahr anno 991 erschien Lupus wieder einmal auf dem Hof. In seiner Begleitung befand sich ein junger Mann. »Das ist Gerwin, mein Gehilfe«, erklärte der Wolfsjäger. »Man ist schließlich nicht mehr der Jüngste, und die Wölfe werden nicht weniger gefräßig, da hielt ich es für angebracht, ihn zu meiner rechten Hand zu machen.« Von Nimwegen her seien sie gekommen, wo auch die Kaiserin, der man eine schwache Gesundheit nachsage, sich derzeit mit kleinem Gefolge aufhalte.
Während Lupus am Essenstisch ausschweifend über Geschehnisse in der Welt berichtete, musterte Jutta den neuen Gehilfen. Sie stellte fest, dass auch Gerwin sie kaum aus den Augen ließ. Er mochte nur wenig älter sein als sie selbst, war groß gewachsen und hatte rabenschwarzes Haar. Jutta spürte ihr Herz pochen. Es war ihr noch nie passiert, dass ein Bursche sie in helle Aufregung versetzte. Außer Brun und ein paar einfältigen Tölpeln aus den benachbarten Weilern war ihr freilich auch noch keiner begegnet.
Später, als sie am Brunnen Wasser holte, traf sie Gerwin dort an. Der junge Wolfsjäger genoss die milden Strahlen der Abendsonne. Jutta, die sich gewöhnlich vor nichts und niemandem fürchtete, musste sich erst ein Herz fassen, um ihn anzusprechen. Dass er sie mit strahlend weißen Zähnen anlächelte, machte es einfacher. Sie bedauerte, sich nicht sorgsam gekämmt zu haben, bevor sie das Haus verließ.
»Keine Wölfe weit und breit, oder?«
Gerwin schüttelte den Kopf. »Sie
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