Rosen für eine Leiche (German Edition)
der Helen, der
Esterding. Vor dreißig Jahren wird sie als Helene Aberl in Giesing geboren,
Vater Trambahnfahrer. Ganz brav macht sie eine Lehre als Schneiderin und
heiratet mit achtzehn einen gewissen Hubert Oesterle, damals Kfz-Mechaniker bei
Opel Häusler. Da heißt sie dann Helene Oesterle-Aberl. Der Oesterle verprügelt
und betrügt sie, nach zwei Jahren lässt sie sich scheiden, nennt sich wieder
Aberl, diesmal Helen Aberl ohne ›e‹, und schlägt sich so lala durchs Leben.
Zuerst in der Änderungsschneiderei von Karstadt, dann als Verkäuferin, danach
verliert sich die Spur für eine Weile. Aber aus München ist sie nie
weggekommen.«
»Interessant«, sagte ich. »Und wann entdeckt sie ihr Maltalent?«
»Nie. In dieser Richtung war gar nix. Zu ihren Lebzeiten konnte die
arme Helene höchstens einen grünen von einem gelb gestreiften Vorhangstoff
unterscheiden. Aber auf was anderes, Lukrativeres ist sie recht schnell
gestoßen.«
»Porno!«, sagte ich bestimmt.
»Genau, Chef. Sie sah ja gut aus und hatte eine prima Figur.
Irgendwann verlor sie dann die letzten Hemmungen.«
Pauli mochte es, eingeladen zu werden, um edel zu speisen.
Um mich zu bedanken und ihn für zukünftige Aufgaben bei Laune zu halten, lud
ich ihn ins »Gaudeamus« ein, ein Münchener Feinschmeckerlokal mit Schwerpunkt
Fisch in der obersten Etage eines achtstöckigen Hauses im Münchener Westen. Für
das »Gaudeamus« hatte er sich fein gemacht. Er trug sein blaues
Schneiders-Salzburg-Sakko zu einer Jeans von Lacoste, hatte Armani-Stiefeletten
aus weichem, braunem Leder an den Füßen. Seine Glatze strahlte, als hätte er
sie mit einem Hochglanzmittel poliert.
Wir waren mitten im Speisen, da ging etwas in Pauli vor. Er bekam
große Augen, zog ein riesiges kariertes Taschentuch heraus, legte es sich über
die Augen, zog es wieder weg, kriegte einen Hustenanfall, stand auf, ging um
den Tisch und stellte sich mit gesenktem Kopf hinter mich, mit dem Rücken zur
Tür, die Hände auf der Stuhllehne.
»Die Herrenhaus«, flüsterte er in einem Ton, als wolle er einen Sarg
reservieren, »ist grad zur Tür reingekommen.« Er holte tief Luft. »Mit dem
Schleimi, mit dem sie neulich schon zusammen war.«
Ich hatte keine Chance.
Lola ortete mich sofort.
»Jetzt gehst du sogar mit diesem Prolli essen«, rief sie in
aggressivem Ton und deutete mit spitzem Finger auf Pauli. Sie roch schwach nach
Alkohol.
Der Typ hinter ihr hatte den Mund zu einem schiefen Grinsen
verzogen.
Fünfzehn Sekunden lang blieb ich einfach stehen und betrachtete den
Mann. Lolas ausgedehnte Beschimpfung hörte ich nur verschwommen als
Hintergrundgeräusch.
Später konnte ich nicht mehr nachvollziehen, warum ich es tat. Aber
ich tat es. Ich machte einen Schritt zur Seite, holte aus und schlug dem Mann
mit der Faust von oben auf den Kopf.
Sein Grinsen verschwand, er knickte ein und sackte in sich zusammen.
Dann drehte ich mich um und wollte gehen.
Lola stellte sich mir in den Weg. »Warum tust du das?«, schrie sie.
Sie sah gar nicht schön aus in ihrer Wut. Aus dem Nichts kam ihre
Ohrfeige.
Sie traf mich hart. Ich war so überrascht, dass ich einen Schritt
rückwärts machte, stolperte und zu Boden fiel.
»Warum tust du das, du Idiot?«, schrie sie noch einmal. Sie begann,
auf mich einzuschlagen.
Ich hatte Mühe, mir die tobende Frau vom Leib zu halten, während ich
gleichzeitig versuchte, mich wieder aufzurappeln.
Von einem weiblichen Wesen war ich noch nie geschlagen worden. Wenn
Lola früher so erregt gewesen war, dass sie die Beherrschung verlor, hatte sie
Sachen nach mir geschleudert, eine Vase, eine Tasche, ein Weißbierglas. Aber
nie hatte sie auf mich eingeschlagen.
»Jetzt ist’s aus«, zischte Lola. »Ich hab immer noch gedacht, dass
es einen Neuanfang gibt mit dir. Aber jetzt ist’s aus.«
Mühsam war ich wieder auf die Beine gekommen.
Ich ging auf Lola zu und strich über ihr wunderschönes dunkelbraunes
Haar, das in dem weichen Pagenschnitt ihr Gesicht umrahmte.
Lola war so perplex, dass sie es für die Zeit eines Wimpernschlags
zuließ. Dann wehrte sie ab und wich zurück.
In meiner Verzweiflung beschritt ich einen Pfad, den ich noch nie
vorher gegangen war und auch zukünftig nie mehr beschreiten würde. Ich stellte
ihr die Frage, die mir schon lang auf der Seele brannte.
»Willst du mich heiraten?«, fragte ich sie.
Falsche Frage zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich begriff es
sofort. Aber es war zu spät.
Lola wandte sich abrupt um
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