Rosen für eine Leiche (German Edition)
unter Strom und hacken dir
keine Glieder ab. Dafür schnallen sie dich in einen hautengen Blechschrank,
stellen ihn auf den Kopf und schlagen mit Knüppeln Beulen in den Schrank. Es tut
nicht weh, aber der Lärm raubt dir auf Dauer den Verstand. Sie stellen dich
über Nacht bei einer Wassertemperatur von fünf Grad plus nackt in eine volle
Regentonne. Du zitterst vor Kälte und willst raus, aber deine Füße stecken in
Schlingen. Sie träufeln dir lauwarmes Wasser über ein Netz in deinen Mund, und
jedes Mal, wenn du Atem holst, läuft die Lunge ein bisschen mehr voll mit
Wasser. Alles kriegs- und CIA -erprobte
Aktionen, total legal.«
Ich war hergekommen, um mit Chili zu reden. Doch der Blick hatte
sich verschoben. Mit unglaublichem Einfühlungsvermögen hatte diese Frau
erkannt, dass ich nicht hinter ihr her war, sondern immer noch sehr an Lola
klebte, und hatte mir mit drei kleinen Wörtern den Spiegel klar vor Augen
gehalten.
»Sie fehlt dir?«
Ich nahm sie wortlos in den Arm, als ich mich verabschiedete.
Unausgesprochen achteten wir beide darauf, dass sich kein Partikel der eigenen
Haut am anderen rieb.
»Wirst du dich noch mal über Priegel hermachen?«, fragte sie mich in
der Tür.
»Absolut«, sagte ich. »Den muss ich knacken.«
VIERZEHN
Ich wollte es nicht wahrhaben. Doch ich wurde
fremdbeherrscht. »Ich bin dein neuer Herr«, hatte der Schmerz gesagt, als er
sich bei mir einführte. »Dein Regent für lange Zeit.«
Es war eine Macht ohne Gestalt, aber mit einem zupackenden Griff und
einem messerscharfen Ausdruck. Er packte mich knapp oberhalb des Gesäßes,
umklammerte meine Hüften, fuhr in die Oberschenkel und machte meine Knie weich.
Mein Körper verlangte nach Bewegung.
Meine Gedanken kreisten um Lola, als ich gegen Mittag durch die
Rosenheimer Innenstadt streifte. Ich hatte wahllos in den Kleiderschank
gegriffen und mir den alten Kamelhaarmantel aus Münchener Zeiten gekrallt, um
meinen Rücken warm zu halten. Im »Giornale« wollte ich mir einen Cappuccino leisten,
wechselte dann aber doch zu Weißbier über, bevor der Kaffee kam. Der
italienische Inhaber war vor nicht langer Zeit von einem Verrückten erschossen
worden. Seine Witwe führte seither das Lokal. Drei Frauen mittleren Alters an
der Bar beäugten mich, als sei ich ein verirrter Gast, der die falsche Tür
geöffnet hatte. War es wegen meiner Verrenkungen oder wegen des Wintermantels?
Nachher betrat ich die Michaeliskirche, genoss die Ruhe und presste
meinen Rücken gegen die Wand. Mir war, als behandle mich jemand mit glühenden
Nadeln an tausend Punkten meines Körpers. Ein unterdrückter Schrei störte die
absolute Ruhe in der Kirche. Nach einer Weile hatte ich mich wieder in der
Gewalt.
In der Karstadt-Passage sah ich mein Spiegelbild im Schaufenster.
Gewelltes, mittellanges Haar, schmale Augenschlitze, dicke Tränensäcke,
bläuliche Schatten auf den Wangen – ich sah aus wie der frühe Leo Kirch.
Pfeilgrrad, hätte die Steinerin bestätigt.
Mir kam die Idee, hineinzugehen und mich in der Kosmetikabteilung
nach einer neuen Anti-Aging-Creme zu erkundigen, von der ich kürzlich gelesen
hatte. Doch ich konnte mich nicht wirklich dazu entschließen, denn mich
beschäftigte ein anderes Thema.
Harry Steiner. Der junge Liebermann.
Im Gehen holte ich mein Handy aus der Tasche.
Paulis Nummer war laufend besetzt.
Dann wollte ich Scholl anrufen. Er sollte für mich den nächsten
Termin mit Priegel in der JVA vereinbaren. Doch
wenn ich schon mal in der Nähe war, konnte ich auch gleich den kurzen Weg zur
Direktion nehmen. Bewegung, Bewegung, Bewegung.
Ich beschloss, einen kleinen Schlenker zur Kunsthalle zu machen. Die
Ausstellung einheimischer Künstler interessierte mich. Ich nahm mir vor, sie in
den nächsten Tagen zu besuchen. Die Sonne tauchte das Rathaus mit seiner roten
Klinkerfassade in helles Licht. Das Rathaus, das früher der Rosenheimer Bahnhof
war und jetzt in der TV -Serie »Die Rosenheim Cops« als
Polizeipräsidium entfremdet wurde.
»Hallo, Herr Ottakring!«
Eine energische, dunkle Stimme. Sie kam mir bekannt vor. Ich blickte
nach rechts.
»Gut, dass ich Sie treffe.« Gabriele Bauer, die Oberbürgermeisterin!
Sie kam aus der Tiefgarage. Staatsfraulich gekleidet, die blonden Haare
hochgesteckt und ein bisschen zerweht. Sie streckte mir die Hand hin.
»Sagen Sie, Herr Ottakring, Sie waren doch jahrelang Chef der
Mordkommission, nicht?«
»In München. Ja.«
»Was halten Sie denn von diesem Herbstfestmord?
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