Rosen für eine Leiche (German Edition)
die
Betrachtung des Wassers, dass sie Pauli nicht einmal hörte, als der Kies unter
seinen Stiefeln leise knirschte. Erst als er mit den Fingern eine Spur über den
Rücken ihrer Lederjacke zog, schrie sie auf.
Ihr mit Kopfstimme herausgeplärrtes angstvolles »Wer sind Sie denn?
Was wollen Sie?« in breitem Münchenerisch drang bis zu mir herauf. Anscheinend
erkannte sie Pauli nicht wieder. Ich setzte das Fernglas an.
Ava war hochgesprungen. Es war offensichtlich, dass sie ins Haus
flüchten wollte.
Pauli hielt sie am Arm fest. Er redete auf sie ein.
Es war deutlich, wie in Avas Augen Erkenntnis aufleuchtete, als ihr
Blick auf das indianische Amulett auf Paulis Brust fiel.
Ihre Augen weiteten sich. Sie verschränkte die Arme.
»Der Bulle«, sagte sie hörbar.
Ich kletterte über den Zaun, ging in die Knie und watschelte den
flachen Hang hinunter.
Pauli löste ein Messer vom Gürtel und klappte es mit dem Daumen auf,
wobei er Ava in die Augen sah.
Ihre Hände zitterten.
Ich war bis zu einer Auffangtonne für Regenwasser vorgedrungen und
duckte mich dahinter.
»Was willst du?«, flüsterte Ava und schloss die Augen. »Du kannst
alles haben, was du willst.«
Pauli beugte sich über die verblühten Blumen im Beet neben sich und
schnitt eine rote Rose fünf Zentimeter unterhalb des Kopfes ab.
»Hätte Helen diese Rose gemocht?«, fragte er.
Erst jetzt machte sie die Augen wieder auf. Sie schielte auf das
Messer. »Warum?«, fragte sie.
»Frag nicht so saublöd. Beantworte meine Frage.«
Dieses Mädchen reagierte am schnellsten auf Drohungen.
»Also noch mal für die Behämmerten: Hat deine Freundin Helen Rosen
gemocht?«
Mir dämmerte, worauf Pauli hinauswollte.
Sie nickte. »Und wie. Rote hat sie besonders gemocht.«
»Und er, Bellini? Mochte er Rosen? Hat er ihr welche geschenkt?«
Sie schüttelte den Kopf so lange, dass das Haar fast davon trocken
wurde, und sah immer wieder zu dem Messer hin. Sie sagte:
»Dem hat’s doch vor allen Pflanzen und Tieren gegraust. Der hat sich
vor Bakterien und Läusen und Bazillen gefürchtet wie kein anderer. Nie hätte
der eine Blume angefasst. Nie. Der hat ja nicht mal Bilder verkauft, wo Blumen
drauf waren.«
Sie warf sich wieder in den Rattansessel und beglückte Pauli mit
einem vorgefertigten Augenaufschlag.
»Und – was machen wir jetzt heut Nacht?« …
»Also, war’s interessant, Bruder?«, fragte Pauli, als er
am Motorrad die Jacke wieder überstreifte.
Interessant? Diese Information war Gold wert. Bellini mochte keine
Rosen. Wie waren dann die Rosen auf die Leiche neben ihm gekommen?
In alle Freude über diesen Quantensprung mischte sich ein klein
wenig Bedauern. Wieso war ich nicht selbst auf diese Lösung gekommen?
Als Pauli hörte, dass ich mir an diesem Tag noch Liebermann
vornehmen wollte, schlug er vor, mich dort abzusetzen. »Ich kann dich ja später
wieder einsammeln. Und so lange mach ich eine kleine Tour um den Chiemsee.«
»Nein, danke«, sagte ich. »Bitte bring mich nach Haus. Ich muss mich
um Herrn Huber kümmern.«
Den Porsche mitsamt Hund ließ ich auf dem auffallend
leeren Parkplatz vor Liebermanns Biergarten stehen. Das kündete nicht gerade
von Hochbetrieb im Lokal. Am Eingang erkannte ich, warum. »Heute geschlossen«,
hieß es dort. Ich drückte die Klinke trotzdem, sie gab nach.
»Können Sie nicht lesen?«, bellte Liebermanns Sängerstimme durch den
dunklen Flur.
»Ich kann sogar schreiben«, blaffte ich in gleichem Ton zurück. Es
sollte scherzhaft klingen. Er sollte nicht den Eindruck gewinnen, ich wolle ihn
verhören.
»Was macht Georg? Wie geht’s ihm?«, fragte ich locker, als ich
Liebermann gegenüberstand.
Ich hatte meine Frage noch nicht ausgesprochen, da merkte ich schon,
dass etwas mit dem Mann nicht stimmte. Er sah mich an, als käme ich von einem
anderen Stern.
»Was soll die Frage?«, sagte er. »Ja, wissen Sie’s denn nicht? Die
haben den Georg doch gestern festgenommen.«
Ich bemühte mich nach Kräften, mir die Überraschung nicht anmerken
zu lassen.
Wir setzten uns an einen Ecktisch im leeren Gastraum, er mit dem
Rücken zum Fenster, ich saß ihm gegenüber und konnte nach draußen sehen. Der
Biergarten war geschlossen, Tische und Stühle weggeräumt. Die Brandung war so
spärlich, dass sie diese Bezeichnung nicht verdiente. Die Eichen hatten die
Hälfte ihrer Blätter verloren. Durch ihre Zweige waren das Glitzern des
Chiemsees und in der Ferne die Umrisse der Fraueninsel deutlich zu
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