Rosendorn
überraschend tief war.
Das einzige Licht stammte von den Fackeln, die in Halterungen an den Wänden und den größeren Stalagmiten steckten, doch es reichte, um die gesamte Höhle zu erleuchten. Ungefähr ein Dutzend Personen hielt sich in dem Gewölbe auf. Sie saßen in kleinen Sitzgruppen aus Sesseln und Sofas. Die Gespräche verstummten, als Ethan, Kimber und ich eintraten, und ich spürte die Blicke aller auf mir. Ich hatte noch nie besonders gern im Mittelpunkt gestanden, und im Augenblick gefiel es mir noch weniger – immerhin war ich total zerzaust, zerknittert und stand ausgerechnet neben einem so coolen Typ wie Ethan. Ich redete mir ein, nicht eingeschüchtert zu sein, und erwiderte die Blicke.
Ungefähr die Hälfte der Anwesenden waren Feen, die andere Hälfte sah menschlich aus. Ein paar der Leute hielten diese billigen durchsichtigen Plastikbecher in der Hand, die ich mit Bierpartys in Verbindung brachte. (Nicht, dass ich je auf so einer Veranstaltung gewesen wäre. Ich hing nicht mit den Leuten rum, die zu solchen Partys gingen. Eigentlich hing ich mit überhaupt niemandem rum, aber das gehört nicht hierher.)
Erst jetzt bemerkte ich das große Bierfass aus Metall, das in einer Ecke der Höhle stand. Ethan hatte gesagt, dass die Apartments, die wir vorher gesehen hatten, Studentenwohnungen seien. Als ich nun meinen Blick über die neugierigen Gesichter schweifen ließ, schätzte ich, dass hier nur ungefähr eine oder zwei Personen im Raum waren, die legal Alkohol trinken durften. Zumindest in den Staaten. Ich hatte keine Ahnung, wo die entsprechende Altersgrenze in Avalon lag.
Ich warf Ethan einen Blick zu, der, wie ich hoffte, entschieden wirkte. »Ihr habt die ganzen Anstrengungen unternommen, um mich auf eine Bierparty zu schleppen?«
Er verzog die Lippen wieder zu einem Grinsen. »Nicht ganz. Willkommen im
Studentischen Untergrund
– dem buchstäblichsten der Welt.« Die Leute neben uns lachten über sein blödes Wortspiel. »Ich werde dir später alle vorstellen, allerdings schulde ich dir zuerst einmal ein paar Erklärungen.«
Schon bald schien unser großer Auftritt nicht mehr so interessant zu sein, und die Studenten unterhielten sich wieder untereinander – oder betranken sich sinnlos. Kimber ging an mir vorbei und gesellte sich zu zwei Typen, die offensichtlich zu den Feen gehörten, auf eine Couch. Sobald sie sich zwischen sie gesetzt hatte, war sie vollkommen verändert: Ihre kühle Miene wich einem freundlichen Lächeln, sie gab ihre starre Haltung auf und wirkte beinahe menschlich. Einer der Jungs legte seinen Arm um ihre Schultern, und sie schien nichts dagegen zu haben.
»Sie ist eigentlich gar nicht so übel«, flüsterte Ethan zu mir gebeugt. »Ich hole einfach das Schlimmste aus ihr heraus.«
Ich nahm an, dass ein diplomatisches Schweigen im Moment das Beste war. Ethans Augen funkelten, als wüsste er, dass er es nicht annähernd geschafft hatte, mich zu überzeugen. In der Höhle war es relativ hell, und so fiel mir nun zum ersten Mal auf, dass die Farbe seiner Augen ein eindrucksvolles Blau war, beinahe ein Blaugrün. Es waren nicht die Augen eines Menschen, auch wenn er sich vollkommen anders verhielt als eine typische Fee. (Im Gegensatz zu Kimber …)
Die anderen Menschen in der Höhle hatten sich den kühlen Temperaturen entsprechend angezogen, doch ich zitterte in meinem kurzärmeligen T-Shirt. Den Feen dagegen schien die Kälte nichts auszumachen. Ethan brachte mich zu einem freien Zweisitzersofa, über dessen Rückenlehne eine Strickdecke hing. Ethan reichte sie mir, und ich schlang sie dankbar um die Schultern. Dann gab er mir ein Zeichen, neben ihm Platz zu nehmen. Zwar würde ich ihm näher sein, als mir lieb war, aber ich setzte mich trotzdem und kuschelte mich in die warme Decke.
Ethan stützte sich mit dem Ellbogen auf der Rückenlehne des Sofas ab und wandte sich mir zu. Ausnahmsweise grinste er nicht und hatte auch nicht diesen Ausdruck im Gesicht, als würde er das alles wahnsinnig lustig finden.
»Was weißt du über die politischen Verhältnisse in Avalon?«, fragte er.
Unwillkürlich zuckte ich zusammen. »Hm … fast gar nichts.« Ich hasste es, meine Unwissenheit vor ihm zugeben zu müssen. Immerhin hatte ich mit dem Gedanken gespielt, hier zu leben. Wahrscheinlich hätte ich mich doch nicht nur über die besten Restaurants und Shoppingmöglichkeiten informieren sollen.
Ethans Grinsen war zurück. »Du brauchst deswegen kein schlechtes
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