Rosengift - Die Arena-Thriller
sie auf die Schramme am Bein, die immer noch blutete. Wenn sie Pech hatte, würde das sogar eine Narbe geben. Patrick setzte sich auf die Zuschauerbank und hielt sich den Knöchel. Sie verfolgten die letzten zehn Minuten des Spiels, wobei sie einander immer wieder böse Blicke zuwarfen. Die Partie endete unentschieden, ein paar Stimmen verlangten nach einem Elfmeterschießen, aber das gab der Zeitplan nicht mehr her.
Matilda verzichtete darauf, sich die zweite Halbzeit von Nicoles und Annas Mannschaft anzusehen, und hinkte zur Umkleidekabine.
Das Jazzkonzert war ziemlich langweilig. Auch wenn sie sich Tante Helen zuliebe schon öfter damit auseinandergesetzt hatte, konnte sie mit Jazz, vor allen Dingen mit Free Jazz, nicht viel anfangen. Christopher dagegen lauschte konzentriert und schien die schrägen Töne sehr zu genießen. Manchmal wippte er unruhig mit den Beinen oder bewegte den Kopf, als würde er die Takte mitzählen. Immer wieder sah ihn Matilda heimlich von der Seite an. Sie fand, dass er heute Abend noch besser aussah als sonst. Sein Haar war frisch gewaschen und dezent nach hinten gegelt, das weiße Hemd brachte seine gebräunte Haut gut zur Geltung und ließ die silberfarbenen Augen richtig leuchten. Aber auch Matilda sah gut aus. Zumindest hatte Christopher ihr das vorhin gesagt. »Elegant« hatte er ihr Outfit genannt. Matilda lächelte bei der Erinnerung daran.
Es schien sich also gelohnt zu haben, dass sie Anna zurate gezogen hatte. Allein das Schminken hatte fast eine Stunde gedauert. Um ihr lädiertes Schienbein, auf dem schon jetzt ein dicker blauer Fleck prangte, zu verdecken, hatte sie sich für ein wadenlanges schwarzes Kleid entschieden, das sie zuletzt zusammen mit einer Jacke zur Beerdigung ihrer Eltern getragen hatte. Eigentlich hatte sie sich damals geschworen, es nie wieder anzuziehen. Aber schließlich konnte das Kleid ja nichts dafür und es war wirklich schön: schlicht geschnitten mit einem Ausschnitt, der nicht zu tief und nicht zu hoch geschlossen war. Die brave Jacke hatte sie einfach weggelassen, stattdessen trug sie um die Hüften einen blau marmorierten Schal aus Tante Helens Kleiderschrank und dazu passend eine Halskette aus blauen Lapislazuliperlen.
Während des ganzen Konzerts fragte sich Matilda, wie der Abend wohl weitergehen würde. Bestimmt würden sie noch in irgendeine Bar gehen, oder in einen Club. Und dann? Was sollte sie tun, wenn Christopher sie fragen würde, ob sie noch mit zu ihm käme? Sie hatte keine Ahnung. Zum einen hoffte sie, dass er das tun würde, zum anderen zweifelte sie daran, ob es klug wäre mitzugehen. Das hier war ihr erstes richtiges Date, ihr erster gemeinsamer Abend. Was würde er von ihr denken, wenn sie so leicht zu haben war? Oder waren solche Gedanken spießig und uncool? Andererseits – vielleicht würde er sie gar nicht wiedersehen wollen, wenn sie Nein sagte? Dann wäre es um ihn nicht schade, mahnte eine Stimme in ihrem Kopf, die verdammt viel Ähnlichkeit mit der ihrer Großmutter Eleonore hatte. Aber eine andere Stimme beschwor sie, lieber kein Risiko einzugehen. So einen tollen Jungen würde sie so schnell nicht wieder kennenlernen, davon war sie vollkommen überzeugt. Sie durfte jetzt nichts falsch machen! Aber was war »falsch« und was »richtig«? Vielleicht sollte ich einfach den Verstand beiseitelassen und auf mein Herz hören, überlegte sie. Aber auf die Stimme ihres Herzens war auch kein Verlass. Einerseits sehnte sie seine Nähe herbei. Es war ein völlig neues Gefühl, das ihr unheimlich war, aber es war auch wunderschön. Andererseits hatte sie die Befürchtung, dass sie sich in Christopher so sehr verlieben würde, dass sie dann bestimmt keinen klaren Gedanken mehr fassen könnte. Mädchen, deren ganzes Denken und Fühlen nur noch um einen Jungen kreisten, hatte sie schon erlebt, in ihrer Klasse. Paul hat dies gesagt, Paul hat jenes gemacht, Paul findet dies schön, Paul mag das nicht… Abstoßend, diese Selbstaufgabe! Bei manchen Mädchen dauerte es Monate oder sogar Jahre, bis sie wieder einigermaßen zur Vernunft kamen – oder sich gleich an den Nächsten klammerten. Natürlich wurden diese bedauernswerten Geschöpfe früher oder später von ihrem Angebeteten verlassen, denn welcher Typ wollte schon ständig eine willenlose Marionette um sich herum haben? Nur Obermachos, und selbst die nicht immer. War die Beziehung zu Ende, gab es ein großes Drama, die Betreffende war dem Selbstmord nahe und zog ihre ganze
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