Rosenherz-berbKopie
Hauptkommissar, jetzt bin ich dran. Und Sie hören mir zu! Hier
steht, dass Sie die Ermittlungen im Fall Rosenherz wiederaufgenommen
haben. So etwas saugt sich nicht einmal Arne Grüter einfach aus den
Fingern. Und ich möchte erfahren, wieso ich davon nichts weiß. Was
sind das für Eigenmächtigkeiten? Ausgerechnet in einem Fall, der
mich ein Jahr meines Lebens gekostet hat.»
Marthaler
begriff, dass er jetzt schnell reagieren musste. Er brauchte
eine gute Antwort, um das Misstrauen des Staatsanwalts zu
beseitigen. Erst einmal versuchte er, Zeit zu gewinnen: «Sie kennen
den Fall?», fragte er.
«Lenken
Sie nicht ab. Ich will eine Antwort!»
Marthaler
holte Luft. «Sie wissen, dass ich vor Jahren mit Grüter
aneinandergeraten bin. Damals hat man mich für meinen Umgang mit
der Presse gerügt. Auch Sie waren unter denen, die mich
ermahnt haben. Jetzt wollte Grüter eine Homestory über mich
schreiben; das habe ich abgelehnt. Ich habe ihm von der
neugegründeten Cold Cases Unit erzählt. Er meinte, ich solle mir
den Fall Rosenherz nochmal vornehmen. Er hat mir davon erzählt;
ich fand die Sache interessant und habe ihm gesagt, dass ich mir die
Akte anschauen werde. Das ist alles.»
Arthur
Sendler schwieg. «Verstehe», sagte er schließlich.
Marthaler
setzte nach: «Dass Grüter dann in seinem Artikel mehr draus
gemacht hat, dafür kann ich nichts.»
«Verstehe»,
sagte der Staatsanwalt noch einmal. Er klang deutlich besänftigt.
«Und warum wollten Sie mich sprechen?»
«Weil
ich Sie genau darum bitten wollte: mir die Akte Rosenherz
herauszusuchen, damit ich sie mir anschauen kann. Unsere Kopie ist
nämlich verschwunden.»
«Wie
bitte?»
«Sie
haben richtig gehört.»
«Dann
haben wir keine mehr», sagte Sendler.
«Sagen
Sie das nochmal!»
«Mitte
der siebziger Jahre haben wir uns den Fall wieder vorgeknöpft. Wir
waren frisch. Keiner von uns hatte mit den ursprünglichen
Ermittlungen etwas zu tun gehabt. Ich war jung und gerade erst nach
Frankfurt gekommen. Wir waren entschlossen, den Tater doch noch zu
finden. Zwölf Monate lang haben wir geackert. Nichts. Ohne
Ergebnis. Wir sind immer in dieselben Sackgassen geraten.
Schließlich haben wir die Ermittlungen endgültig eingestellt.»
«Okay»,
sagte Marthaler, «aber dennoch muss ja die Akte bei Ihnen im Keller
liegen.»
«Nein,
ich habe heute Morgen, als ich den Artikel im City-Express las,
in unserem Archiv nachgefragt. Wenn ein Fall ausermittelt ist,
werden die Akten irgendwann vernichtet.»
«Die
Unterlagen zu einem ungeklärten Mordfall werden vernichtet?»,
fragte Marthaler entsetzt.
Das
Blatt hatte sich gewendet. Nun war der Staatsanwalt in der
Defensive. Es war deutlich zu spüren, dass Arthur Sendler
Schwierigkeiten
hatte, den Vorgang zu erklären: «Sie müssen das verstehen,
Marthaler. Vor zwanzig Jahren hat niemand geahnt, dass wir durch die
neue Technik irgendwann die Möglichkeit haben würden, auch uralte
Fälle zu lösen. Wir wussten nicht, dass es mal eine DNA-Analyse
geben würde. Niemand wusste das. Nichts war digitalisiert. Die
Archive platzten aus allen Nähten.»
«Also
hat man die Arbeit einer ganzen Armee von Ermittlern in den
Schredder geworfen?»
«Ganz
so ist es nicht», sagte Sendler. «Es gibt noch eine Chance. Damals
hat das Hessische Hauptstaatsarchiv Interesse an der Akte
Rosenherz bekundet. Wir haben ihnen die Unterlagen geliefert. Sie
wollten prüfen, ob das Konvolut einen kulturhistorischen Wert
hat und deshalb zu Forschungszwecken archiviert wird, oder ...»
«Oder
ob sie es endgültig in den Müll befördern», setzte Marthaler den
Satz fort.
«So
ist es. Wie auch immer: Ein wenig peinlich ist das Ganze schon. Und
Zugriff auf die Sachen hätten wir auf keinen Fall mehr. Aber ich
denke, es würde sich lohnen, in Wiesbaden nachzufragen.»
«Das
werde ich tun», sagte Marthaler. «Und zwar umgehend.»
«Gut»,
sagte Sendler. «Ich befürworte das.»
«Das
heißt, ich habe Ihre Unterstützung?»
«Die
haben Sie. Aber schreiben Sie sich eins hinter die Ohren: Ich möchte
informiert werden. Ich möchte nicht noch einmal aus der Presse
erfahren, in welchen Fällen wir gerade ermitteln. Ist das klar?»
Es
war noch dunkel, als Anna Buchwald auf ihrer Isomatte
aufwachte. Aus dem Nachbarzelt hörte sie ein unterdrücktes
Stöhnen, das offensichtlich von einer Frau stammte. Anna tastete
nach dem Pfefferspray, das neben ihr auf dem Boden lag.
Sie
rollte sich von der Matratze, kroch auf Knien zum Zelteingang
und
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