Rosenmörder (German Edition)
eröffnet,
dass es wie ein einziger Schuss klingt. Der größte Teil von Kemals Oberkörper
wird an der Tür zur Toilettenkabine verteilt, die er gerade hatte öffnen
wollen. Noch nie hat Chili einen Mord aus der Nähe miterlebt. Bevor man im
Entferntesten reagieren kann, ist man erst einmal geschockt. Da hilft alles
Polizeitraining nichts. Und dann geht es um sie.
Geübt hab ich ihn schon oft, den Deut-Schuss. Beim Schießtraining im
Keller. Auch im Gelände. Doch nie hätte ich daran gedacht, selbst einmal zum
Ziel zu werden. Der Maskierte tritt auf mich zu und behält die Waffe oben. Die
Mündung wirkt riesig. Ich fixiere die Pistole, auf deren Lauf sich das
Kunstlicht von der Decke spiegelt. Ich habe den Eindruck, als sähe ich neben
der Waffe eine Bierdose. Der Mann hält die Pistole in beiden Händen. Er
umklammert sie mit der linken, der Zeigefinger der rechten liegt am Abzug. Linkshänder
also. Ob ich das Mündungsfeuer gesehen hätte, haben sie mich später gefragt.
Ja, es war wie ein Blitz. Ich weiß aber nicht, ob sich der Blitz in meinem Kopf
abspielte oder ob es der Mündungsblitz war. Es hört sich an wie das leise,
erstickte Geräusch einer Automatik mit Schalldämpfer. Der Treffer reißt mich
herum. Aber nicht mit voller Wucht mit erhobenen Armen nach hinten weg, wie man
es in Filmen sieht. Es ist eher ein gemächliches Zur-Seite-Drehen und
Nach-unten-Wegsacken. Mit dem Kopf schlage ich gegen irgendetwas. Zuerst spüre
ich noch keinen Schmerz. Unbewusst fasse ich an die Stelle am Gürtel, wo sonst
meine Waffe steckt. Doch da ist keine Waffe. Ich will schreien, bringe aber
keinen Ton über die Lippen. Panik erfasst mich, als ich an meinem Körper
hinuntersehe. Eine tiefrote Blutlache breitet sich am Boden aus und vermischt
sich mit dem Blut, in dem Kemals Körper liegt. Der stechende Geruch von
Schießpulver hängt in der Luft. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist die
Klotür. Sie ist nur mehr ein zerfetztes, blutverschmiertes, lose in den Angeln
hängendes Sperrholzviereck.
Schlagartig löste sich die Gesellschaft auf. Die Gäste
wurden von Polizei, Spusi und dem Notarztteam vertrieben. Lola war unter einen
Tisch gekrochen und schrie und tobte mit tränennassem Gesicht. Selbst einer der
Ärzte und Direktor Schuster konnten sie weder beruhigen noch bändigen.
Ottakring hatte keine Zeit, sich um seine Frau zu kümmern. Er war
ein Mann von außerordentlicher Selbstbeherrschung. Er weinte nicht und kippte
nicht um. Er wankte ein wenig, das allerdings. Aber er öffnete den Mund nur, um
knappe Auskünfte zu erteilen oder Anweisungen zu geben, die unumgänglich waren
für die Untersuchung und den Abtransport des toten Kollegen und der schwer
verletzten Chili. Wie ein geschnitzter Indianer stand er mitten im Getümmel,
äußerlich völlig unbeteiligt wirkend. Der Eindruck täuschte. Ottakring hätte
platzen können vor Erregung, Wut und Sorge. Hätte es Lola getroffen, dachte er
für einen Moment, hätte er sich eine Kugel in den Kopf gejagt. Seine Lola! Erst
nachdem er mit der Einsatzzentrale telefoniert, die Fahndung ausgelöst und die
Spurensicherung eingewiesen hatte, konnte er sich um seine Frau bemühen.
»Ich hab ihr eine Beruhigungsspritze gegeben«, sagte der Arzt.
Ludgar Sachs hatte sie auf eines der Zimmer bringen lassen.
Ottakring vergewisserte sich, dass keine unmittelbare Gefahr für sie
bestand. Dann forschte er nach Schuster.
»Würden Sie die Stellung halten?«, bat er. »Ich mach mich auf den
Weg ins Präsidium. Hier sind mir die Hände gebunden.«
Ottakring hatte den Porsche in vollem Sonnenschein vor dem
Aschbacher Hof geparkt. Der Wagen glänzte wie ein Juwel. Jetzt allerdings war
er eingeklemmt zwischen Sankas, Polizeifahrzeugen und den Medien. Der
Medienrummel war gewaltig. Wann hatte es das schon einmal gegeben, dass zwei
Polizisten in einem oberbayerischen Kuhdorf während einer Hochzeit abgeknallt
worden waren? Jemand musste die Reporter verständigt haben.
Ottakring schäumte. Zornig auf die ganze Welt wühlte er sich durch
die Menge und klemmte sich hinters Lenkrad. Er wollte gerade den Motor
anlassen, da fiel sein Blick auf die Kühlerhaube. Er erstarrte, riss den
Schlüssel aus dem Zündschloss und sprang aus dem Auto.
Die Flecken, die er auf dem Hochglanzlack ausgemacht hatte,
entpuppten sich als Abdrücke einer Hand. Oder von zwei Händen. Jedenfalls von
etwas, was da nicht hingehörte.
Sollte er die Männer vom Spezialkommando rufen und auf sie
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