Rosenmörder (German Edition)
aber ist er im
Begriff, ein paar Nachforschungen am Schauplatz seines geplanten nächtlichen
Verbrechens anzustellen.
Eineinhalb Stunden später kommt er zurück, setzt sich an denselben
Tisch wie vorher, zieht sein Notizheft heraus und lässt das Maßband in der
Tasche. Es war leicht gewesen. Er hatte lediglich ein Schließfach im Tresorraum
der Bank mieten müssen und darin unwichtige Papiere verstaut. Zehn Minuten lang
hatte er mit Abmessen und Zeichnen zu tun gehabt, wobei er hin und wieder einen
Blick auf die Gittertür warf, durch die er gekommen war. Schließlich hatte er
einen groben Plan des Raums skizziert, Größe und Beschaffenheit der Tür
beschrieben und sich vergewissert, ob der Fußboden mit Stahlbeton verstärkt
war, indem er in einer Ecke einen kleinen Streifen des Teppichs aufriss. Das
würde wohl die lauteste Explosion verursachen, vermutete er. Der Rest würde
sicher durch die umliegenden Tresortüren gedämpft.
Nun weiß er genau, wie dick der Stahl, die Wände und der Boden sind,
um die Menge des benötigten Sprengstoffs exakt berechnen zu können.
Huawa hatte die Fächerreihen betrachtet und sich den Schnurrbart
geleckt. Was und wie viel war da wohl drin? Gold? Juwelen? Erpressungsmaterial?
Hunderttausende, Millionen von D-Mark?
Fürs Erste hat er genug Informationen gesammelt. Der Anmarschweg,
also das Überwinden der Sicherheitssyteme, das Ausschalten der Alarmanlagen,
sind reine Routine für Huawa, den gefürchtetsten Bankräuber und Tresorknacker
der späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Eine Art Rififi im
Biedermeierformat. Er hatte seine Papiere im Fach Nummer 314 verstaut und
dann abgeschlossen. Ja, die Nacht würde ziemlich laut werden.
So oder so ähnlich könnte es sich einst abgespielt haben, dachte
Ottakring, während er zum dritten Mal die Personalakte des Pförtners Artur
Josef Huber am Computer studierte. Huawas größter Coup – und dadurch
erlangte er Berühmtheit – war der Kasinobruch gewesen. Mit einem gigantischen
Caterpillar hatte er mit voller Wucht die Seitenwand der Bad Hinterseer
Spielbank aufgerissen. Sämtliche Spieltische, die Spielgeldkasse und die
Taschen der Gäste hatten unter dem Überfall heftig zu leiden gehabt.
Angestellte und Gäste berichteten später, sie hätten drei, vier, fünf Täter
ausgemacht. In Wirklichkeit war es Huawa gewesen. Josef Artur Huber ganz
allein.
Zehn Jahre nach diesem Bruch war seine Jugend weitgehend verblüht.
Er hatte sie hinter Gittern verbracht. Solist war er gewesen, wie es in der
Branche hieß. Er kundschaftete aus, recherchierte, plante, eroberte allein, zog
sich allein zurück. Bis er eines Tages in eine Routinekontrolle in einer
unübersichtlichen Autobahnkurve geriet und gefasst wurde.
Nach seinem Zwangsaufenthalt blieb Huawa sauber. Frech und findig,
wie er immer war, bewarb er sich um die frei gewordene Stelle des Pförtners bei
der Polizei, und er bekam sie. Seine Erfahrung war ein echter Schatz für das
Kommissariat 2,
Eigentumsdelikte. In der Theorie betrieb er den Bankraub weiterhin als Hobby.
Da es weit und breit keine Weiterbildungskurse für seinen Berufszweig gab,
musste er sich im Selbststudium helfen. Moderne Alarmanlagen in Gleichstrom-
oder Bustechnik, Lichtschranken, Bewegungsmelder, Magnetkontakte, Ereignisdrucker,
Videotechnik, sogar elektronische Schlüssel – alles kein Problem für
Huawa.
In der Theorie.
Die Praxis sollte alsbald folgen.
Dummerweise hatte Felix Iljitsch Gubkin das Alarmsystem
für das Grattenschlösschen nicht aus seiner Heimat einfliegen und von
Landsleuten installieren lassen. Er hatte, nachdem sich diese Lösung als zu
zeitraubend und unberechenbar erwiesen hatte, einen lokalen Spezialisten namens
Embacher beauftragt.
»Etwas läuft dort droben«, so hatte es Ottakring zunächst begründet.
»Die Observation meldet ein ziemliches Gewusel auf dem gesamten Anwesen.
Irgendwas geht da ab. Ich möchte wissen was. Da müssen wir aktiv werden.«
Er wollte Embacher einschalten. Embacher sollte die Pläne
herausrücken. Mit Überredungskunst, notfalls per Gesetz. Doch Artur Josef Huber
riet davon ab.
»Des packmer scho, Herr Kriminalrat«, brachte Huawa vor. »Des, was
der Embacher verkafft und installiert, des kenn i ois. Und i kann’s
entschärfen.«
Und so war es.
Es war Nacht, und sie arbeiteten mit abgedeckten Taschenlampen.
Vorsichtshalber hatten sie Sturmhauben und Latexhandschuhe übergestreift. Man
konnte ja nie wissen. Sie hatten Hunde auf dem
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