Rosenmörder (German Edition)
Oberstleutnant
Soinwand auf die Frage des Kriminalrats hin. Er war ein schlaksiger Mann mit
rasiertem Kopf und Brille. »Ich kenne Herrn Wildschitz nicht mehr persönlich
aus seiner Soldatenzeit. Ich kenn ihn nur als Bürgermeister.«
Er telefonierte kurz.
Ein Hauptmann trat ein.
»Der S1.
Unser Personaloffizier«, stellte der Kommandeur vor.
Zu dritt saßen sie um einen niedrigen Tisch herum. Couch, Sessel,
Sessel.
»Andreas Wildschitz war Berufssoldat bei uns«, erfuhr Ottakring vom
Offizier. »Er ist als Stabsfeldwebel ausgeschieden. Zuletzt Spieß in der
dritten Kompanie, Bootsführer am Inn, Ausbilder für unsere Rekruten,
stellvertretender Vorsitzender der Unteroffizierskameradschaft, Ranger, taffer
Typ. Jetzt ist er Bürgermeister.«
Aber das wusste Ottakring ja flüchtig.
»Wenn er Berufsunteroffizier war, hat er dann die gesamte Zeit in
Pranburg gedient?«
»Oh«, entfuhr es dem Hauptmann. »Sie legen auf die gesamte
Dienstzeit Wert. Nein, Stabsfeldwebel Wildschitz kam aus dem Osten zu uns. Aus
der Nationalen Volksarmee. Er wurde als Stabsunteroffizier in die Bundeswehr
übernommen.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah seinen Kommandeur an.
»Wildschitz war ein guter Soldat. Engagiert. Sehr gut beurteilt von seinen
Vorgesetzten. Und immer gradaus.«
Ottakring nickte. »Gibt es in Ihren Unterlagen auch Angaben über
seine Privatverhältnisse? Hat er getrunken, war er verschuldet,
Frauengeschichten?«
Der Oberstleutnant meldete sich zu Wort. »Nein. Wir führen hier
keine Stasi-Unterlagen. Es stünde nur etwas drin, wenn er sich etwas zuschulden
hätte kommen lassen. Aber Sie …«, sein Blick kreiste zu dem Hauptmann,
»… Sie hatten nach meiner Kenntnis doch früher persönlich mit ihm zu tun.
Wissen Sie etwas von Bedeutung für den Kriminalrat?«
»Ob er verschuldet war? Nein, das …«
»Verheiratet? Kinder? Eltern? Vermögen? Leidenschaften? Hobbys?« Wie
Pfeile schossen die Worte aus Ottakrings Mund.
»Motorradfahren«, kam es spontan über den Tisch. »Das war sein großes
Hobby. Eine schwere Maschine, eine Kawasaki, glaub ich, an der hat er oft
herumgebastelt.« Der Hauptmann überlegte kurz. »Ach ja, und das Unglück mit
seiner Mutter. Das hat ihn damals schwer getroffen. Sie war Lehrerin von Beruf.
Hatte eine kleine Jolle und verbrachte wohl jede freie Minute auf dem Chiemsee.
Trotz Sturmwarnung ist sie eines Tages raus. Sie ist gekentert und ertrunken.
Die Leiche wurde noch in derselben Nacht gefunden.«
Ottakring nahm sich vor, die Sache nachzuprüfen.
»Und?«, fragte er nach. Er schien auf eine Goldgrube an Wissen
gestoßen zu sein. »Gab’s auch einen Vater?«
»Entschuldigen Sie mich«, unterbrach der Kommandeur. »Fünfzehn Uhr
dreißig. Ich muss zur Einheitsführerbesprechung. Hrrrm. Bitte, eine Frage noch,
Herr Kriminalrat. Warum interessieren Sie sich so intensiv für das Leben von
Bürgermeister Wildschitz?«
Die gleiche Frage stellte Ottakring sich auch. Er warf den Kopf nach
oben, als wäre er in tiefsten Gedanken gestört worden.
»Ich ermittle in diversen Mordfällen, die sich auf kleinstem Raum
ereignet haben. Da hängt vieles mit allem zusammen. Alles mit vielem. Und jeder
hat irgendwelche Leichen im Keller.« Er hoffte, den Offizier ausreichend
wohlklingend und nichtssagend verwirrt zu haben.
Doch der parierte erstaunlich konkret.
»Ja, genau wie bei uns«, sagte er. »Unsere Leichen haben die blöde
Gewohnheit, dann aus dem Keller gekrochen zu kommen, wenn man es am wenigsten
gebrauchen kann.«
Damit verschwand er nach draußen in den kahlen Flur.
Ottakring nickte. Auch das war ihm nicht unbekannt.
»Gab’s auch einen Vater?«, wiederholte er.
»Meines Wissens waren die Eltern geschieden, schon bevor die Mutter
mit dem jungen Wildschitz in den Westen kam. Könnt ja sein, dass er drüben
geblieben ist?«
Eine wichtige Antwort war der Hauptmann schuldig geblieben. Doch
konkret hatte Ottakring die Frage gar nicht gestellt. Das holte er jetzt nach.
»Familie, ja«, sagte der Offizier. »In den Papieren stand: ›getrennt
lebend‹. Ob er mittlerweile geschieden ist, kann ich nicht sagen. Und Kinder?
Definitiv ja. Zwei. Zwei Buben. Die hat er vergöttert. In den Ferien waren sie
immer hier. Er ist mit ihnen im Sommer in die Berge, im Winter zum Eishockey,
er brachte sie zum Volleyballtraining mit – seltsam, ich hab nie mehr
etwas von ihnen gehört.«
»Wo haben Frau und Kinder gelebt? Hier in der Nähe?«
Der Hauptmann rutschte unruhig
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