Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
während unseres Studiums tauschten wir uns intensiv über unsere künftigen Tätigkeiten aus. Und die Pläne, diese Tätigkeiten so weit wie möglich zusammen auszuüben, reiften früh. Zusammengearbeitet haben wir eine ganze Zeit lang erfolgreich.
Die Wahl unserer Studienfächer war irgendwie logisch. Es gab eine Gemeinsamkeit: Sowohl Garten- wie Innenarchitekten richten Räume ein. Und es gab einen Unterschied: Rosenrot richtete äussere Räume ein, ich innere. Das wäre eigentlich die ideale Ergänzung gewesen. Wir hatten das, was jede gute Zusammenarbeit braucht, genügend Gemeinsamkeiten und genügend Unterschiede. So teilten wir unsere grundsätzlichen Vorstellungen von Schönheit, Harmonie, Ausgewogenheit und Kontrast. Im Detail gab es ausreichend unterschiedliche Ideen, um die nötige Spannung zu erzeugen. Zudem befassten wir uns mit unterschiedlichen Räumen, was zum Vornherein gegen Konkurrenz und für Kooperation sprach.
Ich glaube, meine Schwester empfand die damalige Situation als ideal. Nur in mir regte sich der Dämon Neid, stärker denn je. Diesmal ging es nicht darum, dass sie erfolgreicher war als ich, über fehlende Aufmerksamkeit und Anerkennung konnte ich mich nicht beklagen. Nein, ich beneidete Rosenrot um etwas viel Tieferliegendes.
Beide gestalteten wir Räume. Doch das Material, mit dem wir dabei umgingen, war grundsätzlich verschieden. Ich hatte es mit sehr kunstvoll gestalteten, aber letzten Endes künstlichen und damit toten Gegenständen zu tun. Meine Schwester dagegen konnte mit Bäumen, Sträuchern, Blumen und anderen Pflanzen gestalten, mit lebendigen Dingen. Mit Lebewesen. Darum beneidete ich sie glühend.
Eines wusste ich von Rosenrot: Ein Garten hat mit natürlicher Natur etwa so viel zu tun wie ein innenarchitektonisch sorgfältig gestaltetes Haus mit einer steinzeitlichen Wohnhöhle. Wenn man auf einem Gartengrundstück alles dem natürlichen Lauf der Dinge überlässt, kann es zweihundert Jahre dauern, bis es einigermassen so aussieht, wie wir uns natürliche Natur vorstellen. Jeder Garten ist also mehr oder weniger künstlich, bedarf gezielter Eingriffe. So weit lag Rosenrots Tätigkeit als Gartengestalterin also nicht von jener Schneeweisschens als Gestalterin von Innenräumen weg.
Was meinen Sie? Ja, ich sah und sehe uns oft wie von aussen und rede dann von Schneeweisschen, wenn ich mich meine. Sie können das ja hoffentlich übersetzen …
Wo war ich? Ach ja, bei der Ähnlichkeit unserer beider Tätigkeiten. Beide waren wir Gestalterinnen, wirkten künstlich und künstlerisch zugleich. Nur, in ihrem Fall kam dazu ein Element, das bei mir fehlte. Das Leben. Dieser Gegensatz zwischen künstlicher Gestaltung und lebendigem Material ergab bei allem, was Rosenrot tat, eine zusätzliche Spannung, die sich schöpferisch auswirkte. Darum beneidete ich sie.
Ich wollte nicht wirklich mit ihr tauschen. Der Garten war eine Welt, die mir fremd geblieben war. Zu wenig kontrollierbar und zu schmutzig. Ganz anders Rosenrot. Sie liebte es schon als kleines Kind, in Erde und Dreck zu wühlen. Wenn wir, was selten vorkam, mal eine Strafe bekamen, bestand diese meistens darin, eine Stunde im Garten zu jäten. Nach Ablauf dieser Stunde ging Schneeweisschen dankbar, dass es vorbei war, zurück ins Haus. Rosenrot dagegen machte selbstvergessen einfach weiter. Sie war im Garten so sehr in ihrem Element, dass sie Gartenarbeit nicht als Strafe, sondern als Belohnung empfand. Das fand ich wiederum ziemlich ungerecht.
Ich hatte also schon ganz schön viel heimlichen Groll auf meine Schwester angesammelt, als dieser junge, ebenso wohlerzogene wie wohlhabende Mann in mein Leben trat, den ich damals als den vom Märchen versprochenen Prinzen empfand. Und er entschied sich für mich. Nicht für meine eigentlich attraktivere Schwester. Meine Träume schienen wahr zu werden. Ein zurückgezogenes, glückliches Leben an der Seite eines treuen Gatten.
Pustekuchen! Von wegen treu. Noch während unserer Verlobungszeit begann mein angeblicher Prinz eine Affäre mit meiner Schwester. Oder sie mit ihm. Ich bin bis heute überzeugt, dass sie ihn verführt hat. Gut, es gehören immer zwei dazu, aber sie trug mit Sicherheit die Hauptschuld. Da ist für mich definitiv eine Welt zusammengebrochen.
Meine verliebte Euphorie hatte davor dazu geführt, dass der Neid-Dämon in meinem Inneren weitgehend verstummt war. Mochte Rosenrot doch das behalten, was an ihr beneidenswert war. Schneeweisschen hatte jetzt etwas
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