Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
viel Bedeutsameres, ihren Prinzen, die Erfüllung ihres Traums. Und der hatte sich für sie entschieden. Was zählte da der ganze unbedeutende Rest.
Als Rosenrot mir auch das wegnahm, brüllte mein innerer Dämon auf, zerbrach mit einem Faustschlag die mühsam aufgerichtete Sperrmauer und übernahm das Kommando über mich. Ich wurde zur wütenden Furie, getrieben von glühender Rachsucht. Damals hörte ich keine andere Musik als die Rache-Arie der Königin der Nacht aus der «Zauberflöte».
Bald kehrte meine andere Persönlichkeit zurück. Ich bekam mich selbst wieder in den Griff und konnte meine Gefühle einigermassen kontrollieren. Ohne das hätte ich sie vermutlich schon damals umgebracht. Meine Restvernunft sagte mir, dass es sich nicht lohne, dafür ins Gefängnis zu gehen. Trotzdem. Was zu viel war, war zu viel, und ihr weiter zu begegnen, war für mich zu viel. Ich habe jeden Kontakt zu meiner Schwester abgebrochen.
Genützt hat das nicht viel. Etwas in mir hoffte zwar, die Zeit würde alle Wunden heilen. Irgendwann. Doch ich wusste aus Erfahrung, dass das bei mir nicht funktioniert. Ich kann einfach nicht loslassen. Vermutlich ist das eine Fehlkonstruktion meines Gehirns, ich weiss es nicht.
Wie sich das äussert? Sehen Sie, es ist etwa so wie bei schlimmen traumatischen Erlebnissen. Die graben sich unauslöschlich ein und tauchen immer wieder auf. Ich hatte nie ein solches traumatisches Erlebnis. In mir steckt die Summe vieler kleiner Kränkungen und Verletzungen. Zusammen reichen die aus. Weil ich sie einfach nicht vergessen kann.
Das allein wäre nicht weiter schlimm. Wir Menschen können vieles nicht vergessen, und manchmal tauchen die Erinnerungen an negative Erfahrungen bei allen im Bewusstsein auf. Wenn das geschieht, erkennt und meldet das Gehirn von glücklicheren Menschen gleichzeitig: Keine Gefahr. Es ist vorbei. Das ist nur eine Erinnerung. Die Gefühle, die damals mit dem Erlebnis verbunden wurden, sind nicht mehr aktuell. Du kannst dich entspannen.
Mein Gehirn tut das nicht. Wenn es eine Erinnerung aus dem Gedächtnisspeicher holt, nimmt es gleichzeitig die damaligen Gefühle mit. Und zwar so, dass ich sie in der Jetztzeit so empfinde wie damals. Erinnere ich mich an eine Kränkung, fühle ich mich wieder verletzt und wütend wie damals. Erinnere ich mich, dass ich auf meine Schwester neidisch war, bin ich wieder neidisch und eifersüchtig.
Es ist, als ob diese Gefühle dazu verdammt wären, ewig zu leben. Sie erhalten nie die Chance, einfach vorbei zu sein. Oder wenigstens zur vagen Erinnerung zu verblassen. Nein, sie sind immer präsent. Diese Wunde, die keine einzelne grosse Wunde ist, sondern die Summe vieler kleiner, kann nicht heilen.
Deswegen wurde das dringende Bedürfnis, meine Schwester mit dem Tod zu bestrafen, nicht geringer, sosehr ich versuchte, diese Gefühle nach gewohnter Manier einzudämmen und einzusperren. Mir wurde klar, dass es einen Moment geben könnte, in dem diese Kontrolle zu schwach würde. Und weil ich ohnehin erkannt hatte, dass das mit meinem Prinzen, der zum Bären geworden war, nicht klappen würde, bin ich geflohen. So weit weg, wie es ging. Ans andere Ende der Welt, nach Neuseeland.
Warum ich nie in therapeutischer Behandlung war? Ich habe es ein paarmal versucht, gebracht hat es nichts. Man hat mir erklärt, es handle sich bei meinen Beschwerden nicht um eine wohldefinierte psychische Störung. Deshalb könne man sie nicht behandeln. Es sei einfach so, dass die Gabe des Vergessenkönnens so unterschiedlich verteilt sei wie musikalisches Talent oder Schönheit. Manche Menschen hätten davon mehr abbekommen, andere weniger. Ich hätte da offenbar Pech gehabt. Damit sei ich nicht die Einzige. Man müsse halt einfach lernen, damit zu leben. Am besten, indem man sich selbst besser zusammenreisse.
Danke, das hatte ich schon gewusst. Mit mässigem Erfolg bei der Umsetzung. Deshalb habe ich so grosse geografische Distanz wie möglich zwischen das Objekt meiner Rachsucht und mich gebracht und bin nach Neuseeland gegangen. Um die Chancen, doch eines Tages von meinem inneren Dämon überwältigt zu werden, noch mehr zu verkleinern, habe ich alle Zelte hinter mir abgebrochen. Alle Spuren verwischt. Ich wollte, wenn schon, richtig verschwinden.
Wie ich das finanziert habe? Ganz einfach. Ich habe meinen Verlobten dazu gebracht, mir schon vor der Hochzeit seine Liebe auch in Form eines ordentlichen Zustupfs auf mein Konto zu beweisen. Der Trottel hat brav
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