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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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»Dahin möchte ich gerne.«
    »Was machen wir denn da?«
    Rose schob behutsam Charlottes Hand weg und blätterte um. »Wir fahren in der Wüste herum.« Sie klang genervt. »Und suchen nach Alien-Menschen-Bastarden.«
    Dann, ohne auf Charlottes stummen Aufschrei wegen »Bastarden« zu achten, schlug Rose das Buch zu. »Lasst uns was anderes machen, ja? Ich habe keine Lust mehr auf diesen Mist.«
    Irgendwie endeten wir an jenem Nachmittag wieder bei Der weiße Hai . Rose hatte meinen flehenden Blick nicht bemerkt, als Charlotte den Film vorschlug. Stattdessen warf sie die Kassette ein und setzte sich mit ihren Hausaufgaben an den Küchentisch, sodass ich mit Charlotte und dem Hai allein im Wohnzimmer blieb. Charlottes Dad war mir da auch keine Hilfe: Als er ungefähr zwanzig Minuten später nach Hause kam, nahm er gar nicht wahr, was im Fernsehen lief.
    »Soll ich dich den Hügel mit raufnehmen, Nora?«, fragte er.
    »Den Hügel rauf?«
    »Nach Hause. Ob ich dich nach Hause fahren soll. Ich muss sowieso in die Richtung, zur Mülldeponie, also kann ich dich und Rose auch mitnehmen.«
    »Okay«, antwortete ich mit einem Schulterzucken. Ab und zu, an Müllabfuhrtagen, bot Mr. Hemsworth an, mich und Rose mitzunehmen. Der Weg war zwar nur so kurz, dass es fast schon albern anmutete, aber ich wollte nicht so unhöflich sein, Nein zu sagen.
    »Sie muss aber noch nicht weg, wenn sie nicht will«, sagte Charlotte. »Wenn sie zu Fuß gehen will, darf sie noch bleiben, oder?«
    »Charlotte.« Mr. Hemsworth’ Stimme hatte einen schneidenden Unterton, den ich nicht verstand.
    Vielleicht wollte er mich aus dem Haus haben und ärgerte sich, dass Charlotte ihm das vermasselte. Väter mit ihren mürrischen Stimmungen und unberechenbaren Wünschen waren mir ein Rätsel. Vor allem Charlottes Dad war mysteriös: Seine Arme waren von dichten grauen Haaren bewachsen, bei denen ich immer an ein Trocknerflusensieb denken musste, und er war geradezu besessen von Sachen wie Rasenmähen, Autowaschen und Football. Auf eine sonderbare Weise wirkte ergar nicht real, eher wie irgendein Vater aus dem Fernsehen. Er war groß und hatte kein Kinn, sondern einen dicken Hautlappen, der gegen die Knöpfe seiner weißen Arbeitshemden drückte. Und sein Gesicht war immer rot, auch wenn seine Wut meistens nicht ganz ernst gemeint wirkte.
    »Ich bin in ein paar Minuten fertig«, erklärte er. »Erst mal muss ich den Müll ins Auto laden. Du und Charlotte könnt also noch ein bisschen weitergucken, und ich rufe dann, wenn ich so weit bin.«
    »Okay.«
    Begeistert schaukelte ich auf dem Hemsworthschen Schaukelstuhl herum, denn ich war wirklich froh, dass ich nicht bis zum Ende des Films bleiben musste. Wenn der Fischer vor Charlottes Augen aufgefressen wurde, würde ich schon bei einem ruhigen Abendessen mit meiner Mutter sitzen, Lachsstückchen und weißen Reis futtern und ihr in den Werbepausen der CBS -Abendnachrichten von meinem Schultag erzählen.
    Doch ehe ich mich versah, waren fünfzehn Minuten vergangen, und es nahte eine weitere scheußliche Filmszene – der Teil, in dem der Junge auf dem Floß gefressen wird und sein Blut wie eine Fontäne aufspritzt. Die anderen Schwimmer fliehen schreiend, und seine arme Mutter sucht ihn panisch am Strand.
    Ich fand, ich hätte bei der letzten Übernachtung hier genug gesehen und sollte nicht schon wieder gezwungen werden, diese Szene anzugucken. Kurz bevor es losging, fing ich an, mit der Zunge zu schnalzen, um mich abzulenken, und beschwor mich im Stillen, dass ich echt war und der Film nicht.
    »Pst!«, machte Charlotte.
    Also richtete ich meinen Blick auf das türkisblaue Plüschpolster hinter ihrem Kopf und die eingesunkenen Knöpfe in derselben Farbe, die das Sofa wie ein riesiges Nadelkissen aussehen ließen. Wenn ich auf der Couch saß, überkam mich immer der Wunsch, an den Knöpfen zu drehen; deshalb setzte ich mich neuerdings lieber auf den Schaukelstuhl.
    »Was?«, fragte Charlotte streng. »Was glotzt du denn so?«
    Ich konnte es nicht leiden, dass mir Leute dauernd vorwarfen, ich würde glotzen, dabei guckte ich doch nur.
    »Nichts«, entgegnete ich und drehte mich zur Küche um. »Meinst du, dein Dad hat mich vergessen?«
    Charlotte wandte den Blick nicht vom Bildschirm ab. »Ich hab nicht gehört, dass er losgefahren ist.«
    »Vielleicht will er doch nicht mehr fahren, und ich muss zu Fuß gehen.«
    »Kann sein.«
    Ich stand auf und ging durch die Küche zur Garagentür.
    Rose und Mr. Hemsworth

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