Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
Vom Netzwerk:
zusammen.
    »Leider wollte Paul gerade gehen«, mischte sich Charlotte ein. »Er muss helfen, die Kinder ins Bett zu bringen.«
    »Stimmt genau«, sagte Paul.
    »Sehen wir uns noch?«, fragte ich, als er schon Richtung Küche ging.
    »Ja, vielleicht können wir noch mal richtig quatschen, bevor du wieder nach Hause fährst.«
    Seine mangelnde Begeisterung kümmerte mich nicht. Paul und ich hatten uns nie viel zu sagen gehabt. Als er siebzehn war und ich elf, verließ ich immer das Zimmer, sobald er esbetrat, und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Ich hatte stets das Gefühl gehabt, dass ihm in meiner Nähe unwohl war, als könnte er sich ums Verrecken nicht daran erinnern, worüber jemand, der sechs Jahre jünger war, reden wollte.
    Nachdem er gegangen war, nahm Charlotte den Papierstapel vom Couchtisch. »Also ran an diese dämlichen Wortschatzsätze. Hör dir den mal an: ›Sie versuchte, einen Pickel mit ihrem Haar zu überdecken, aber er war immer noch kolossal.‹«
    »Uärgs«, machte ich. Ich saß immer noch neben ihr. »Aber nicht falsch.«
    »Ich glaube, zur Auswahl stand auch ›auffällig‹.«
    »Ja, dachte ich mir.«
    »Eben.« Charlotte griff nach ihrem Glas. »Ich bin eine grottenschlechte Lehrerin. Einen Schluck Wein?«
    »Nein danke. Ich hatte schon zwei Bier.«
    »Ist ja Wahnsinn, Nora. Na ja, ich brauche das für diese Wortschatztests. Spätestens bei ›Der Lehrer hat einen arglistigen Kaffeeatem‹ musste ich mir ein Glas einschenken.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst!«
    »Doch.« Sie lehnte sich zurück und trank einen großen Schluck Wein. »Die kleinen Wichser denken, dass sie mich mit solchen Andeutungen brechen können. Das ist doch zum Brüllen!«
    Ich sah zu, wie sie eine rote Linie neben den Text malte und sie am Ende mit einem Haken abschloss. Dann nahm sie sich das nächste Blatt vor.
    »Ach, ich weiß, dass das langweilig ist«, versicherte sie, nachdem sie noch ein Blatt gelesen hatte, und trat gegen einen Karton, der unter dem Couchtisch stand. »Guck mal, ich habe unsere Lieblingssachen auf dem Dachboden ausgegraben.Ich dachte, dass es witzig sein würde, sie noch mal anzugucken.«
    Ich zog den Karton hervor. Er war eingerissen, modrig und voll mit unseren alten Geheimnisse des Unbekannten -Büchern. Auf dem obersten Titel war vor einem himmelblauen Hintergrund eine menschliche Hand abgebildet, in der ein Sternenlicht explodierte. Ganz oben stand »Heilende Kräfte« in den vertrauten silbernen Buchstaben.
    »Ist ja gruselig«, sagte ich, nahm ein paar Bücher aus dem Karton und legte sie auf den Tisch. »Du hast die alle aufbewahrt?«
    »Natürlich habe ich sie aufbewahrt, Nora.« Charlotte zog die Füße auf die Couch und schlang die Arme um ihre Knie. »Ich bewahre alles auf. Da sind echt einige spannende Artikel in den Büchern. Sachen, an die ich mich gar nicht erinnere. Zum Beispiel in dem einen, Unerklärliche Begegnungen . Das habe ich mir als Erstes angesehen, als ich den Karton herunterholte. Da geht es meistens um Geister. Aber ich habe auch ein Kapitel ›Erscheinungen von Lebenden‹ entdeckt und dachte mir: Wow, was ist das denn? Geister von Lebenden? Das kann ich damals unmöglich gelesen haben, denn daran hätte ich mich garantiert erinnert. Gleich am Anfang steht eine Geschichte von einer Frau, einer Lehrerin ...«
    Ihre Schultern bebten. Schon bei der Erinnerung musste sie kichern und stemmte ihren Fuß, der in einer Nylonstrumpfhose steckte, seitlich gegen mein Bein. Flüchtig fiel mir ein, wie sie sich früher, wenn ihr Vater bei uns saß, ihren Fuß packte und ihn kitzelte, auf der Couch gewälzt hatte. »Nein, oh GOTT , hör auf!«, hatte sie gequiekt, während ich stumm auf der anderen Seite saß und ihren hin und her schlagenden Kopf sowie die spitzen Ellbogen abbekam.
    »Diese Lehrerin in Lettland«, versuchte Charlotte es erneut, »im neunzehnten Jahrhundert ... manchmal passierte mit ihr etwas völlig Verrücktes: Sie stand vor der Klasse und unterrichtete, aber wenn die Schüler aus dem Fenster sahen, war sie gleichzeitig draußen im Schulgarten und roch an den Blumen.«
    »Sie hatte eine Doppelgängerin? Eine Blumen schnüffelnde Doppelgängerin?«
    »Ja. Sie selbst konnte sie nicht sehen, aber alle anderen schon. Die Schüler schworen es, und sie wurde gefeuert, weil es den Kindern Angst machte.«
    Charlottes Kichern wurde zu einem lauten Lachen, das wiederum zu einem schmerzhaft klingenden Hustenanfall wurde.
    »Ach, wenn ich doch eine

Weitere Kostenlose Bücher